Marktradar für Dienstag, 27. Dezember 2022
Werden Entscheidungen nun auf 2023 verschoben ?
In den letzten vier Handelstagen des Jahres werden Charttechnik und auch News vermutlich eine nur untergeordnete Rolle für die Marktteilnehmer an der Börse spielen. Wichtiger werden Portfoliobereinigungen und steuerliche Überlegungen sein. Da viele Investoren in diesem Jahr Verluste bei Einzelaktien angehäuft haben, ist es gut möglich, dass Gewinne noch für dieses Kalenderjahr – wo vorhanden – realisiert werden, um diese steuerlich mit bereits realisierten Verlusten gegenrechnen zu können.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes?
Öl- und Gasaktien vor Gewinnmitnahmen ?
Am vergangenen Freitag gehörten Aktien aus dem Bereich Öl und Gas zu den Gewinnern. Der Öl-Future (CL) mit Ablauf März 2023 testete im Tagesverlauf die 80 $ Marke, konnte diese aber nicht nachhaltig überwinden und notierte per Tagesschluss darunter (79,64 $).
Die Öl- und Gasdienstleister hatten am Freitag wieder einmal die Nase gegenüber Öl- und Gasproduzenten vorn. Dabei stach in der Top-Liste des Tages die Aktie von Nine Energy (NINE) mit einem Tagesgewinn von 13 % heraus. Das in Houston, Texas beheimatete Unternehmen kann als Small Cap und bedingt auch als Hot Stock kategorisiert werden (Marktkapitalisierung: ca. 400 Mio $). Nine Energy bietet Dienstleistungen für Ölproduzenten rund um Bohrlöcher an.
Die Aktie ist ein Spätzünder in diesem Jahr, dafür wird nun umso mehr beschleunigt: Die Aktie dümpelte bis Ende September meist in einer Kursspanne zwischen 2 – 3 $ herum; am Freitag schloss die Aktie, nachdem der Turbogang eingelegt wurde, bei 13,77 $ ! Nine Energy hatte in diesem Jahr kaum jemand “auf dem Zettel”: Während die meisten Öl- und Gas Werte bis Mitte November von Hoch zu Hoch liefen, bewegte sich diese Aktie weitgehend unter dem Radar.
Die Fundamentaldaten für Nine Energy sehen eigentlich ganz vielversprechend aus. Die Auftragsbücher scheinen voll zu sein, denn bis 2024 soll der Umsatz um 38 % und der Gewinn pro Aktie um über 500 % steigen. Für 2024 lässt sich ein KGV von 4 berechnen. Solche Wachstumsraten sind nur möglich, wenn Nine Energies über einen Wettbewerbsvorteil verfügt; immerhin gehören große Öl- und Gasdienstleister wie Halliburton oder Schlumberger zu den direkten Konkurrenten. Andererseits wäre es für diese Unternehmen machbar, den kleinen Konkurrenten Nine Energy einfach zu übernehmen.
Anleger sollten bedenken, dass Nine Energy bisher noch in keinem Geschäftsjahr einen Gewinn ausgewiesen hat, so dass es sich um eine spekulative Turnaroundstory handelt – darum gilt: Vorsicht: Hot Stock !
Wer glaubt, dass 2023 und 2024 die Geschäfte rund um Bohrlöcher für Nine Energy tatsächlich so gut laufen wie von Analysten erwartet, kann sich diese Aktie für 2023 auf die Beobachtungsliste legen.
Wir vergeben für heute aber einen Entry Stempel auf der Short Seite für den Bereich Öl !
Die am Freitag im Marktradar erwähnten Ölproduzenten Exxon Mobil (XOM) und Devon Energy (DVN) konnten zum Wochenschluss über dem Zwischenhoch vom 13. Dezember schließen. Daher kommen diese beiden Aktien für ein neues Leerverkaufmanöver für mich nicht mehr in Frage.
Der potentielle “Fallen Angel” Marathon Oil (MRO) zieht – wie erwartet – keine neuen Käufer an, sodass ich diese Aktie für einen Leerverkauf weiterhin in Betracht ziehe.
Da auf Steueroptimierung fokussierte Investoren durchaus noch Ölaktien halten könnten – hier also mitunter noch keine Gewinne realisiert haben -, sollte mit Gewinnmitnahmen in Ölaktien in den nächsten Tagen gerechnet werden.
Stehen Maschinen- und Anlagenbauer vor einer längeren Korrektur ?
Technisch angeschlagen sehen für mich Maschinen- und Anlagenbauer aus. Das erkennt man z.B. ziemlich gut an der deutschen Siemens AG (WKN: 723610): Am 13. Dezember misslang der Ausbruch auf ein neues Zwischenhoch. Die zwei folgenden Handelstage verlor Siemens bei exorbitant hohem Handelsvolumen über 5 % an Wert. Nun bildet sich eine bärische Flagge, wobei das Handelsvolumen deutlich zurückgegangen ist. Eine bärische Flagge wie aus dem Lehrbuch, oder?
Beim US-Konkurrenten General Electric (GE) gibt es ein ähnliches, wenn auch nicht so augenfälliges Muster. General Electric hat bereits drei tiefere Hochs in Folge ausgebildet, Siemens könnte heute das erste tiefere Hoch vollenden. Im Vergleich Siemens zu General Electric kann man gut erkennen, dass deutsche Aktien zuletzt einen kräftigeren Drive nach oben entwickeln konnten als US-Aktien. Ob man daraus den Kausalschluss ziehen könnte, dass auf diese Stärke nun größere Schwäche folgt (wer höher steigt, fällt danach umso tiefer), weiß ich nicht. So eine Expander-Logik tritt an der Börse mal auf, und mal nicht.
Keine wirkliche Reiselust an der Börse
Einen Entry Stempel auf der Long Seite vergeben wir heute für den Bereich China-Internet.
Durch die 180° Wendung, die die Kommunistische Partei in China in diesen Tagen bei ihrer COVID-Politik vollzieht, könnten vor allem Aktien aus der Reisebranche interessant werden. Ab dem 8. Januar müssten sich in das Land kommende Personen nicht mehr in Quarantäne begeben, teilte Chinas Nationale Gesundheitskommission am 26. Dezember mit. Bislang waren fünf Tage Quarantäne in einer staatlich überwachten Einrichtung und drei weitere Tage Isolation zu Hause Pflicht. Auch Beschränkungen für Chinesen bei Reiseantritt werden nun vermutlich gelockert werden.
Schauen wir uns dazu einmal Trip.com (TCOM) an. Die Trip.com Group Limited ist u. a. als Online-Reisedienstleister für Hotels, Flüge und Pauschalreisen in China tätig. Trip.com kann als die chinesische Booking Holdings bezeichnet werden. Aktuell wird Trip.com mit einem KGV von 20 bewertet, das bis 2024 auf 11 sinkt. Zum Vergleich: Die Booking Holdings (BKNG) wird aktuell mit einem KGV von ebenfalls 20 bewertet, das bis 2024 auf 13 sinkt. Der Unterschied in der Bewertung scheint bei diesen beiden Platzhirschen im Geschäftsbereich Online-Reisebuchungen also eher marginal zu sein.
Im Wochenchart notiert Trip.com an der oberen Begrenzung des Trendkanals, der seit dem Allzeithoch vom Juli 2017 (60,65 $) Bestand hat. Aktuell notiert die Aktie von Trip.com an der Nasdaq bei 33,99 $. Das Unternehmen hat am 14. Dezember Quartalszahlen veröffentlicht, die deutlich über den Erwartungen lagen. Es kam aber nicht zu einer großen Up-Bewegung am Earning Day – obwohl die wirklich guten Zahlen das gerechtfertigt hätten -, was darauf schließen lässt, dass die Luft nach oben aktuell ein wenig dünn für diese chinesische Aktie zu sein scheint.
Der Chart für das US-Pendant Booking Holdings sieht ziemlich angeschlagen aus. Die Aktie ist am 15. Dezember unter die 2000 Dollar Marke gefallen. Ein Versuch am 21. Dezember, diese zu überwinden, ist gescheitert. Solange Booking Holdings nicht wieder über 2000 $ steigt, ist diese Aktie für mich eher für einen Leerverkauf als für einen Kauf interessant. Daher halte ich auch einen Einstieg in Trip.com auf der Long Seite aktuell für zu verfrüht. Eine ausgedehnte Konsolidierung, wenn nicht gar Korrektur, könnte im Schlepptau von Booking Holdings nun auch in der Trip.com Aktie folgen.
Bei Aktien aus der Reisebranche sollten wir “Kursbuchungen” also auf das nächste Jahr hin verlegen. Sieht so aus, als ob wir diese beiden Aktien 2023 noch günstiger kaufen können.
Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.
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