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Marktradar vom 28. Dezember 2022

Marktradar vom Mittwoch, 28. Dezember 2022 von Stefan Pröhl

Marktradar für Mittwoch, 28. Dezember 2022

 

Ribonukleinsäure und Containerschifffahrt im Fokus

 

Im tiefen Schlund der Bärenhöhle

Für langlaufende US-Staatsanleihen vergebe ich inzwischen wieder den Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell Off spekulieren”. Ebenso für alle großen US-Aktienindizes: S&P 500, Nasdaq 100, Russell 2000. Wir befinden uns also zum Jahreswechsel wieder in der dunkelsten Bärenhöhle.

Wer darauf spekuliert hat, dass Bonds und Aktien zum Jahresende in eine negative Korrelation übergehen, der wird nun enttäuscht sein und muss zu Jahresbeginn erst einmal geduldig darauf warten, dass bessere Zeiten für passive Investments kommen.

Irgendwann wird sicherlich der “Normalzustand” wiederhergestellt werden, nämlich dass die eigentlich defensive Anlageklasse Bonds die Risiken, die der Aktienmarkt bietet, täglich etwas abfedern kann. Viele Portfoliomanager hoffen, dass die bei passiven Anlegern so beliebten 60 / 40 Modelle (60 % Aktien und 40 % Bonds) in Kürze wieder vorzeigbare Renditen liefern. 2022 war das nicht möglich gewesen. In diesem Jahr sahen wir das seltsame Schauspiel, dass Bonds als eigentliche Risk-Off Klasse höhere Verluste produzierten als die eigentliche Risk-On Klasse Aktien: Der ETF für US-Staatsanleihen mit Laufzeiten von mehr als 20 Jahren (TLT) verlor seit Jahresbeginn über 32 %. Der ETF für den S&P 500 (SPY) verlor hingegen nur über 19 % (Stand Tagesschluss gestern). Ein diversifiziertes, passives Aktienportfolio hätte im Mittel wohl um die 20 % im Jahr 2022 verloren – wer als passiver Investor in diesem Jahr weniger als 10 % verlor, darf sich von Kollegen als guter Stockpicker feiern lassen.

Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?

Der von mir beobachtete ETF für Biotechnologie (XBI) erhält aktuell den Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell Off spekulieren”. Schaut man sich Aktien wie Vertex Pharmaceuticals (VRTX) oder Regeneron Pharmaceuticals (REGN) an, dann sieht man auf einen Blick, dass eine zuvor produktiv aussehende Kursentwicklung nun kaputt gemacht wurde. Auch diese langfristig sicherlich interessanten Aktien sind auf der Endgeraden 2022 in der Bärenhöhle angekommen, so dass ein schnelles Anlaufen neuer Hochs für diese beiden Aktien erst einmal kein Thema mehr ist.

Unter dem Radar der Biotechs

Aber schauen wir einmal unter den Radar im Biotech-Bereich. Dort finden wir nämlich Aktien, die zum Jahresende mit positivem Momentum aufwarten können. Womöglich können diese Aktien ins neue Jahr hinein sogar trendfolgend gehandelt werden; eine Stärke, die man aktuell sicherlich nicht vielen Aktien zugestehen kann.

Mir sind zwei solche trendstarken Biotech-Aktien aufgefallen, für die sich heute Swing Long Einstiege finden lassen. Beide Biotech-Firmen arbeiten mit der neuartigen RNAi-Therapeutik – reiner Zufall wird das vermutlich nicht sein. Womöglich wird diese innovative Form der Arzneimittelforschung eine der interessantesten Themen innerhalb der Biotechnologie für das Jahr 2023 sein !

Die RNAi Therapeutik forscht auf Basis von Ribonukleinsäure (RNA). Die RNA ist weniger stabil als die DNA. Im Unterschied zur DNA liegt die RNA nicht als Doppelhelix, sondern als einzelner Strang vor. Die Aufgabe der RNA besteht darin, die in der DNA gespeicherte Information zu transportieren und zu übersetzen. Sie reguliert aber auch die Genaktivität. 

Auf Basis der RNA-Forschung kann ein nahezu gegensätzlicher Weg als in der konventionellen Arzneimittelforschung gegangen werden: Stark vereinfachend kann man sagen: Anstatt “Chemie” in den Körper zu “pumpen”, werden die Krankheitsverursacher deaktiviert.

Schauen wir uns zum einen die Aktie von Alnylam Pharmaceuticals (ALNY; Marktkapitalisierung: ca. 30 Mrd. $) an. Ich hatte das Unternehmen bereits im Marktradar vom 5. Dezember erwähnt. Das Biotechnologieunternehmen verdient Geld mit vier zugelassenen Medikamenten, die alle über die neuartige RNAi Therapeutik entwickelt wurden. Aber noch nie konnte das Unternehmen bisher einen Gewinn im Jahresabschluss ausweisen. Dennoch beeindruckt das Umsatzwachstum: In den letzten drei Jahren stieg der Umsatz durchschnittlich 124 % pro Jahr. In den kommenden vier Jahren soll der Umsatz durchschnittlich um mehr als 35 % pro Jahr steigen. In die schwarzen Zahlen könnte Alnylam Pharmaceuticals 2025 kommen. Allerdings besitzt das Unternehmen unzählige Patente und somit geistiges Eigentum. Außerdem verfügt Alnylam Pharmaceuticals über eine volle Pipeline von Medikamenten in der Entwicklungsphase, von denen einige innerhalb der nächsten zwei Jahre durch die Phase-3-Studie gehen werden. 

Alnylam Pharmaceuticals konzentriert sich im Rahmen seiner RNA Forschung auf Krankheiten, für die es zur Zeit nur begrenzte oder keine Behandlungsmöglichkeiten über herkömmliche Arzneimittel gibt.

Die Aktie von Alnylam Pharmaceuticals hat seit August 2022 eine Tasse mit Henkel Formation ausgebildet. Aktuell bildet sich über dem Henkel eine flache Basis, was in diesem Marktumfeld nur wenigen Aktien gelingt. Außerdem wird die Aktie seit Ende November eindeutig akkumuliert, denn an starken Handelstagen sehen wir das höchste Handelsvolumen. Damit könnte nach einer Tasse mit Henkel Formation eine langfristige Aufwärtsbewegung starten – etwas, was wir in diesem Kalenderjahr bisher nur selten zu Gesicht bekommen haben. Am 21. Dezember hat die Aktie ein höheres Hoch ausgebildet, und in den drei Handelstagen danach korrigiert, so dass nun ein Einstieg nahe der unteren Kante der flachen Basis möglich werden könnte. Für mich persönlich gehört diese Aktie zu meinen Favoriten für 2023.

Auch Sarepta Therapeutics (SRPT) forscht auf Basis der RNAi Therapeutik und die Aktie zeigt ein ähnliches Chartbild wie Alnylam Pharmaceuticals, zumindest was die letzte Korrekturbewegung betrifft.  Mit einer Marktkapitalisierung von ca. 11 Mrd. $ ist die Aktie von Sarepta Therapeutics um ein Drittel kleiner kapitalisiert als Alnylam Pharmaceuticals. Kürzlich hat George Soros Anteile an Sarepta Therapeutics erworben und ist mit seinem Soros Fund Management dadurch am Unternehmen beteiligt. Damit setzt George Soros auch auf die RNAi-Therapeutik als eine zukunftsfähige, innovative Form der Krankheitsbekämpfung.

Die Aktie von Sarepta Therapeutics hat am 22. Dezember ein Zwischenhoch ausgebildet und zeigt noch etwas mehr Momentum als der größere Mitstreiter Alnylam Pharmaceuticals. Auch bei Sarepta Therapeutics könnte nun ein Swing Long Einstieg gewagt werden, der danach – sofern das letzte Zwischentief nicht unterschritten wird – in das neue Jahr hinein trendfolgend verlängert werden könnte.

Blickt die Containerschifffahrt wirklich so düster in die nahe Zukunft ?

Einen Entry Stempel für die Long Seite vergeben wir heute für die Branche Schifffahrt (BOAT). Wir hatten im Marktradar schon mehrmals erwähnt, dass in den Bewertungen dieser Aktien eine schwere Rezession längst eingepreist ist. Sollte es zu einer nur milden Rezession kommen, dann sollte diese Branche das als Frühindikator anzeigen können – und eigentlich zeigt sie das jetzt bereits an ! 

Zugegeben: So richtig kann man dieses den Aktien aus der Branche aktuell nicht ansehen – charttechnisch ist selbst eine Bodenbildung mehr Prognose als der Status Quo. Unter dem Radar sehen wir die Frühindikation jedoch – deshalb schreibe ich ja den Marktradar.

Schauen wir uns beispielsweise das in Monaco beheimatete Unternehmen Costamare (CMRE) an, das an der Börse aktuell auf eine Marktkapitalisierung von ca. 1 Mrd. $ kommt. Mit Stand 18. März 2022 verfügte Costamare über eine Flotte von 76 Containerschiffen und 45 Massengutschiffen. 

Die Aktie notiert aktuell dividendenbereinigt mehr als 300 % über dem Coronatief (2,68 $) bei 9,08 $. Zugleich hat die Aktie in den vergangenen 9 Monaten 46 % an Wert verloren (Allzeithoch am 22. März 2022 lag bei 16,95 $). Bis 2024 werden praktisch keine Umsatzanstiege und keine Gewinne im operativen Geschäft von den Analysten erwartet. Die Aktie wird mit einem KGV von 2 und einem KUV von 1 bewertet. Ab 2023 soll die Dividende gegenüber 2022 von 0,96 auf 0,46 $ pro Aktie halbiert werden, so dass statt der 2022 ausgeschütteten 0,96 $ pro Aktie (bei einem Kurs von 9,08 $ sind das aktuell mehr als 10 % Dividendenendite !) ab 2023 nur noch eine Dividende von etwa 5 % pro Aktie ausgeschüttet werden soll – das gilt natürlich nur, sofern sich der Kurs bis 2024 nicht von der Stelle bewegt.

Vergleichen wir das mal mit einem der Marktführer in der Containerschifffahrt: dem dänischen Unternehmen A.P. Moeller-Maersk (WKN: 861837), das an der Börse auf eine Marktkapitalisierung von knapp 40 Mrd. $ kommt. Von 2023 bis 2024 wird mit einem heftigen Gewinnrückgang bei etwa gleichbleibenden Umsätzen gerechnet. Die Dividende soll sukzessiv gekürzt werden, sodass für 2024 aktuell mit einer Dividendenrendite – sofern der Kurs unverändert bleibt – von 2,85 % gerechnet wird. Das KGV für 2023 läge bei 6, das für 2024 aber bei 30, weil eben ein starker Gewinnrückgang erwartet wird. 

Sieht die Containerschifffahrt tatsächlich so düster in die nahe Zukunft? Bei solchen pessimistischen Schätzungen sollten die künftigen Quartalsergebnisse eigentlich deutlich Luft nach oben haben – zumal wir aktuell wieder steigende Frachtraten sehen, da eine Auflösung der durch China verursachten Lieferkettenproblematik womöglich in Kürze für mehr Umschlag an den Häfen führen wird – und dies erst einmal unabhängig davon, wie stark oder schwach die erwartete “Weltrezession” tatsächlich ausfallen wird.

Die Charts von A.P. Moeller-Maersk und auch von Costamare befinden sich noch in eindeutigen Abwärtstrends. Eine Bodenbildung ist in den Charts noch nicht wirklich zu erkennen. Die Erholung, die wir seit Oktober bei vielen Aktien sahen, hat sich bei diesen Schifffahrt-Aktien, gemessen an den vorherigen Verlusten, nur sehr verhalten entwickelt. Die geringe Bewertung bei Costamare, bzw. die doch extrem düsteren Schätzungen beim Big Player A.P. Moeller-Maersk, lassen aber vermuten, dass der Boden aus fundamentaler Sicht nun eigentlich erreicht sein sollte. Das Analysemodell, das dem Marktradar zugrunde liegt, sieht diese Branche aktuell als eine an, die mit am frühesten aus der Bärenhöhle heraustreten könnte.

Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.