Marktradar für Freitag, 6. Januar 2023
Orientierungslos warten wir auf Richtungswechsel
Schauen wir uns im Tageschart des ETFs für den S&P 500 (SPY) einmal die Kerze vom 3. Januar, also des ersten Handelstages in diesem Jahr, etwas genauer an. Wir erkennen an dieser Kerze nun nämlich etwas, was relativ selten vorkommt. Diese Kerze bildet nämlich sowohl ein tieferes Hoch als auch ein höheres Tief. Gemäß Dow-Theorie ist ein höheres Tief generell bullisch zu bewerten und ein tieferes Hoch generell bärisch. Wenn wir an einem Handelstag beide Muster in einer Kerze versammelt sehen, ist das ein Zeichen für Orientierungslosigkeit im Markt. Für Optionshändler stellt so ein Muster eine Gelegenheit für einen Long Straddle dar. Nun ist nämlich ein Ausbruch über das tiefere Hoch oder unter das höhere Tief zu erwarten. Je nachdem, zu welcher Bewegung sich der Markt in Kürze entschließt, sollten wir bei Ausbruch davon ausgehen, dass diese Bewegung dann für ein paar Tage die Trendrichtung bestimmen wird. Denn in beiden Fällen würde sich der Hoch- bzw. der Tiefpunkt der Kerze als Fehlsignal entpuppen. Und wenn Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt werden, dann gehen sie häufig den Richtungswechsel mit und verstärken diesen damit.
Was sehen wir unter dem Radar der großen Aktienindizes?
Gewinner von heute verkaufe besser morgen
Gewinner von heute verkaufe besser morgen. Das scheint in diesem noch kurzen Jahr eines der erfolgversprechendsten Tradingmanöver für den US-Aktienmarkt zu sein.
Wir sahen solche Richtungswechsel am Donnerstag in extremen Ausmaßen bei den gestern im Marktradar erwähnten Aktien salesforce.com (CRM), Coinbase (COIN) und Silvergate Capital (SI). Waren diese Aktien am Mittwoch noch in den Top Listen ganz oben zu finden, so sahen wir diese am Donnerstag in den Flop Listen ganz unten.
Bei salesforce.com hat sich schnell die Erkenntnis eingeprägt, dass im aktuellen Umfeld ein Personalabbau einer “A Priori Gewinnwarnung” gleichkommt. Als gestern Amazon (AMZN) einen Personalabbau meldete, der höher war als zuvor vom Unternehmen angegeben, stieg die Aktie vorbörslich zwar leicht an, aber nur, um dann mit Handelseröffnung für diese Entscheidung abgestraft zu werden.
Gehen wir nun näher darauf ein, was am Donnerstag vorbörslich bei Silvergate Capital über den Conference Call mitgeteilt wurde und was dann zu einer Kurshalbierung innerhalb weniger Minuten in der Aktie geführt hat.
Silvergate Capital (SI) gab bekannt, dass Kunden von der Bank Einlagen in Höhe von 8,1 Mrd. USD abgezogen haben. Um es etwas genauer in Zahlen zu fassen: 11,9 Milliarden US-Dollar Ende September sind auf 3,8 Milliarden US-Dollar am 31. Dezember geschrumpft. Dieses zwang die auf den Transfer von Kryptowährungen fokussierte Regionalbank dazu, Vermögenswerte zu verkaufen. Außerdem gab das Management in der Telefonkonferenz weiter bekannt, dass etwa 150 Millionen noch bestehende Einlagen von Kunden stammen, die inzwischen Insolvenz angemeldet haben.
Daraufhin verlor die Aktie am Donnerstag kurz nach Eröffnung etwa 50 % an Wert, nachdem die Aktie am Donnerstag um etwa 27 % gestiegen war. Am Mittwoch sahen die Anleger positiv, dass das Transaktionsvolumen auf der hauseigenen Plattform SEN (Silvergate Exchange Network) infolge des FTX Desasters nicht zurückgegangen ist. Das schuf vorerst Vertrauen in das Funktionieren von Kryptowährungen als Transfermittel.
Die Silvergate Exchange Network Plattform fungiert als eine Art Börse für die Börsen und bringt ein Netzwerk von Handelspartnern auf einer Plattform zusammen. Damit verdient Silvergate Capital als Schaufelverkäufer im Krypto-Umfeld Geld, ohne dabei Kursrisiken, die ein Investment in Kryptowährungen mit sich bringt, selbst eingehen zu müssen. In einer funktionierenden Kryptowelt ist das eigentlich eine Lizenz zum stressfreien Geldverdienen.
Das Vertrauen in die SEN-Plattform wurde mit den neuen Details wohl nicht verspielt. Aber der Glaube, dass die Bank aus eigener Kraft weiter bestehen kann, schwindet nun.
Das Management bestätigte diese Vermutung gestern selbst, indem es ausdrücklich betonte, dass es nun wahrscheinlich wird, dass die Silvergate Capital Bank übernommen werden wird. Da Silvergate Capital in der FED-Struktur eingebettet ist, also die FED als eine Art Gläubiger im Hintergrund agiert, dürfte eine Übernahme durch eine private Bank nicht im Sinne der FED sein. Womöglich betrachtet die Federal Reserve die SEN-Plattform als ein erstes Erfahrungsprojekt für zukünftige Transfers digitaler Währungen, die nicht gänzlich aus dem kontrollierbaren Bereich der FED herauswachsen sollen. Die Silvergate Capital Corporation ist für die FED also – zumindest sofern ein digitales Währungssystem auf der Agenda steht – systemrelevant.
Inzwischen ist Silvergate Capital nur noch weniger als 700 Mio US-Dollar an der Börse wert und notiert bei 12,57 $. Ende 2021 konnte man Silvergate Capital noch zu Kursen um 200 $ handeln.
Zusätzlich interessant für Börsianer ist sicherlich die Äußerung von Silvergate während der frühmorgendlichen Konferenz, dass viele Krypto-affine Bestandskunden, die ihr Vermögen aus Überzeugung in Krypto-Assets angelegt haben, ihr Kapital nun in US-Treasuries anlegen wollen.
US Treasuries nun shorten ?
Gehen wir damit auch gleich zu den Bonds über: Der ETF für langlaufende US-Treasuries (TLT) erhält für heute vom Marktradar den Entry Stempel für einen Short Versuch. Mit dem Unterschreiten des Zwischentiefs vom 9. Dezember, das am 19. Dezember passierte, sauste der ETF bis zum Jahresende gen Süden. Seit Silvester konnten Anleger mit dem TLT eine Rendite von etwa 3,7 % erzielen, wobei sich der ETF während der Handelszeiten gegenläufig zum S&P 500 verhielt, im vorbörslichen Handel aber eher kongruent. Dieses etwas paradoxe Verhalten zeigt, dass den US-Treasuries ebenso wie dem S&P 500 in diesem noch kurzen Kalenderjahr eine innere Orientierung zu fehlen scheint.
Nun ist der TLT ETF etwas überkauft und hat zuletzt ein tieferes Tief und ein tieferes Hoch ausgebildet; erfüllt also alle Voraussetzungen für einen Swing Trade auf der Short Seite.
Solange die oben erwähnte Orientierungslosigkeit in Bonds und Aktien anhält, ist Swing Trading vermutlich die erfolgversprechendste Tradingstrategie. Breakout-Trader haben längst das Handtuch geworfen und Trendfolger finden sich aktuell in Europa wohler als in den USA.
Silberpreis mit Verkaufssignal – und was machen die Silberminen ?
Kommen wir zum Abschluss auf den Silberpreis zu sprechen. Silber verlor gestern deutlich mehr als Gold. Im ETF für den Silberpreis (SLV) wurde gestern das höhere Tief vom 28. Dezember unterschritten. Auch per Tagesschluss blieb der Preis unterhalb des Tiefs. Damit wurde ein Verkaufssignal gemäß Dow-Theorie ausgelöst, das eigentlich nun eine längere Korrektur- oder Konsolidierungsphase einleiten sollte.
Wie haben Silberminenaktien auf die Schwäche im Silberpreis reagiert ?
Fortuna Silver Mines (FSM) brach gestern um ca. 11 % ein und zeigt nun im Chart das gleiche Verkaufssignal wie der Silberpreis ETF. Allerdings sollte dieser Kursrutsch nicht repräsentativ für andere Silberminen gesehen werden: Denn die Nachricht über einen unerwartet wieder aufkeimenden Rechtsstreit, der Fortuna Silver MInes verpflichten könnte, Umweltschutzauflagen bezüglich einer betriebenen Mine in Mexiko früher als erwartet neu bewerten zu müssen, wird wohl der eigentliche Grund für den gestrigen Kursrutsch gewesen sein.
Repräsentativer erscheint mir hier das Kursverhalten der Aktien von Wheaton Precious Metals (WPM) und SSR Mining (SSRM) zu sein: Wheaton Precious Metals wurde mit Handelseröffnung akkumuliert und beendete den Handel nicht allzu weit vom Hoch des Vortages. Auch bei SSR Mining zeigten sich die Händler gestern akkumulationsfreudig. Diese beiden Minenaktien zeigten also relative Stärke gegenüber dem Silberpreis, was gemäß Risk-On / Risk Off Logik nun den Risk-On Part Silberminen als Vorläufer für den Risk-Off Part Silberpreis bestimmen könnte. Wenn Wheaton Precious Metals und SSR Mining in Kürze früher neue Hochs ausbilden als der Silberpreis, dann sollte das in der Tendenz auch den Silberpreis mit nach oben ziehen und wir dürften im Silberpreis nur eine Konsolidierung, keine Korrektur erwarten.
Im ETF für den Goldpreis (GLD) sehen wir das Verkaufssignal aus der Dow-Theorie im Chart nicht. Der GLD hat zuletzt ein höheres Tief und ein höheres Hoch ausgebildet. Der Aufwärtstrend im Goldpreis ist also absolut intakt.
Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.
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