Marktradar für Montag, 22. Mai 2023
Der US-Dollar bewegt die Märkte
Das Erstarken des US-Dollars hat in der vergangenen Handelswoche fünf Tendenzen zu Tage treten lassen, die nun die Ausrichtung der Märkte für die kommenden Wochen bestimmen könnten:
Für die großen US-Aktienindizes dominieren nun höhere Tiefs in den Charts. Wenn diese nicht mehr unterschritten werden, dann werden wir in den kommenden Wochen steigende Kurse sehen. Die Stopp-Loss-Levels, sofern Trader diese an den höheren Tiefs festmachen möchten, liegen im SPY-ETF bei 408,87 US-Dollar, im QQQ-ETF bei 315,12 US-Dollar.
Auch die ETF-Versionen für eine gleichgewichtige Abbildung zeigen inzwischen höhere Tiefs an. Hier liegen die Stopp-Loss-Levels im RSP-ETF bei 140,29 US-Dollar, im QQQE-ETF bei 70,18 US-Dollar.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?
Risk-On nimmt auf US-Dollar-Basis zu
Risk-On Aktivitäten haben mit der Stärke des US-Dollars zumindest in den Branchen-ETFs, die nur US-Aktien enthalten, deutlich zugenommen. Das gilt aber nicht unbedingt für Branchen-ETFs, die Aktien aus Europa oder Asien halten.
Für einige Länder-ETFs aus der Region Europa sehen wir nun sogar eine Chance für Trendfrüherkennung auf der Short-Seite: diese gilt für Deutschland (EWG), Griechenland (GREK), Polen (EPOL) und der Schweiz (EWL). Alle diese ETFs erhalten zwar noch den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken”, aber wir verorten in den Charts inzwischen tiefere Hochs.
Der EWG-ETF bildet den MSCI 100 Germany und nicht den DAX ab. Dass wir im EWG-ETF im Unterschied zum DAX am Freitag kein Allzeithoch sahen, ist wiederum der US-Dollarstärke gegenüber dem Euro geschuldet. Sollten die tieferen Hochs auf US-Dollarbasis nicht schnell überwunden werden, dann wird die Korrektur in die Verlängerung gehen bzw. sich ein Trendwechsel anbahnen.
Solange wir – wie in den vergangenen zwei Wochen – höhere Tiefs und höhere Hochs vornehmlich in US-Aktien sehen, könnten global investierte Portfolios mit US-Aktien aufgestockt werden. Da die Cash-Quote bei Fondsmanagern immer noch recht hoch ist, dürfte es für einen beherzten Abbau europäischer Aktien noch viel zu früh sein.
Short-Squeezes
Wir beobachteten in der vergangenen Woche auch erste parabolische Short-Squeeze- Bewegungen in Charts von US-Aktien, die eine hohe Leerverkaufsquote aufweisen.
Dazu zwei Beispiele:
Upstart Holdings
Upstart Holdings (UPST; Marktkapitalisierung: 2 Mrd. US-Dollar bei einem Short-Float von etwa 30 %) konnte in der vergangenen Handelswoche um 40 % steigen. Upstart Holdings betreibt zusammen mit seinen Tochtergesellschaften eine cloudbasierte Kreditplattform, die künstliche Intelligenz verwendet. Im Oktober 2021 notierte die Aktie noch über 400 US-Dollar. Inzwischen kann man die Aktie für 23,05 US-Dollar kaufen – die Aktie verlor also seit November 2021 etwa 95 % an Wert.
Ein Grund für den Kursabsturz könnte womöglich gar nicht eintreten: Eine sich abschwächende Wirtschaft würde nämlich zu höheren Kreditausfällen führen, Upstart musste seit 2022 auch tatsächlich mehr Kredite in der Bilanz behalten, als beabsichtigt war. Aber eine wirklich schwächelnde Wirtschaft sehen wir in den USA bisher nicht, höchstens ein schwächer werdendes Geldvermögen für die Verbraucher aufgrund der Inflation. Insofern ist ein Kurssturz für Unternehmen aus dem Bereich Kreditvergabe schon gerechtfertigt – aber sind 95 % Kurssturz nicht ein bisschen zu viel ? Das KUV für die Aktie von Upstart Holdings ist inzwischen auf unter 2 geschrumpft. Am 10. Mai musste das Unternehmen den dritten Umsatzrückgang in Folge bei Bekanntgabe der Quartalszahlen melden. Aber immerhin konnten die eigenen Prognosen geschlagen werden. Falls das Unternehmen nun den Umsatzrückgang gestoppt hat, könnte auch im Aktienkurs eine Trendwende eingeläutet werden – zumal viele Shortseller trotz des Short Squeezes noch im Gewinn sein dürften. Auch wurde mit Bekanntgabe der Quartalszahlen bekannt, dass Upstart sich langfristige Finanzierungsvereinbarungen gesichert hat, die der Plattform im kommenden Jahr Kredite im Wert von mehr als 2 Mrd. USD zuführen könnten – was in etwa der aktuellen Marktkapitalisierung des Unternehmens entspricht. Noch arbeitet die Firma nicht profitabel. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass im Laufe des Jahres 2024 der Turnaround geschafft werden könnte.
Ein KUV von 2 für Upstart Holdings erscheint für diesen Anbieter von Kreditplattformen historisch günstig. 2021 wurde dem Unternehmen ein KUV zwischen 30 und 120 zugebilligt. Innerhalb der Peer-Group ist ein KUV von 2 in der aktuellen Marktphase jedoch eher teuer. Das zeigt ein Vergleich mit Konkurrenten wie Pagaya Technolgies (PGY) oder LendingClub (LC). Beide Unternehmen, ebenfalls im Kreditvergabegeschäft tätig, sind an der Börse mit etwa 600 Mio. US-Dollar (PGY) bzw. 800 Mio. USD (LC) kapitalisiert und beide Unternehmen werden aktuell mit einem KUV von unter 1 bewertet. Pagaya Technologies (PGY) ging erst im Juni 2022 an die Börse, stieg kurzzeitig auf über 25 US-Dollar. Inzwischen ist Pagaya Technologies ein Pennystock, schloss am Freitag bei 0,89 US-Dollar. LendingClub (LC) kostete im November 2021 bis zu 49 US-Dollar und schloss am Freitag bei einem Kurs von 7,88 US-Dollar. LendingClub wirtschaftet aktuell sogar profitabel, für Pagaya Technologies erwarten Analysten den unternehmerischen Turnaround erst für 2025. Der Short-Float ist bei beiden Aktien allerdings niedriger als bei Upstart Holdings, so dass Short-Squeeze-Trader bei Upstart Holdings besser aufgehoben sind. Wer nach Value-Kriterien auch bereit wäre, in Hot Stocks zu investieren, sollte sich jedoch eher Pagaya Technologies oder LendingClub genauer ansehen.
C3.ai
C3.AI (AI; Marktkapitalisierung: 3 Mrd. US-Dollar bei einem Short-Float von ebenfalls etwa 30 %) konnte in der vergangenen Handelswoche um 30 % steigen. Hier dürften die meisten Shortseller allerdings – im Unterschied zu Upstart Holdings – nicht im Gewinn, sondern im Verlust sein. Denn die meisten Leerverkäufer sind wohl erst Anfang April 2023 in Aktion getreten, nachdem ein Shortseller dem Unternehmen Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung vorwarf und argumentierte, dass C3.ai seinen Umsatz und seine Bruttomarge aufbläht, um den Anschein zu erwecken, dass es sich um ein Software-Abonnementunternehmen handelt, obwohl C3.ai in Wirklichkeit ein auf Beratungsdienstleistungen ausgerichtetes Unternehmen ist. Die meisten Shortseller dürften erst nach dieser Meldung zu Kursen zwischen etwa 25 und 20 US-Dollar eingestiegen sein. Am Freitag schloss die Aktie bei 25,28 US-Dollar. Am Montag, 15. Mai, präsentierte das Unternehmen überraschend starke Quartalszahlen und einen geringeren Verlust als erwartet. Die Vorwürfe des Shortsellers wurden bis jetzt offiziell nicht entkräftet. Börsianer kauften C3.ai, weil die verkaufte Software es ermöglichen soll, schnell alle relevanten Daten eines Unternehmens finden zu können, um diese dann über eine Sprachausgabe den Mitarbeitern präsentieren zu können. Damit könnten Mitarbeiter eines Unternehmens über diese KI-Software viele Antworten auf Fragen hinsichtlich Prozessabwicklung, Planbarkeit von Aufträgen etc. erhalten, die sonst nur langwierig über Meetings, mühsam erstellte Dokumentationsmappen, eigenes Research etc. zu bekommen wären. So eine Software würde einen extremen Produktivitätsschub innerhalb eines Unternehmens einleiten, weil mit weniger Arbeitsaufwand eine deutlich effektivere Informationsvermittlung erreicht werden kann. Laut Homepage des Unternehmens werden über vierzig schlüsselfertige KI-Anwendungen angeboten – unter anderen für die Bereiche Fertigung, Finanzdienstleistungen, Regierung, Versorgungsunternehmen, Öl und Gas, Chemie, Agrarindustrie, Verteidigung und Nachrichtendienste.
C3.ai wird aktuell mit einem KUV von 10 bewertet. Ist also kein KUV-Schnäppchen wie die oben genannten Kreditplattform-Anbieter. Bedacht werden sollte aber, dass Microsoft an dem Unternehmen bereits seit Oktober 2020 beteiligt ist. Eine Übernahme von C3.ai durch Microsoft kann also durchaus von Investoren in Erwägung gezogen werden.
Kaufbare und trendfolgend handelbare Branchen
Kaufbar und trendfolgend handelbar sind für den Marktradar aktuell unter anderem folgende US-Branchen:
Aus dem Bereich Informationstechnologie die Branchen Software (IGV), Internet-Cloud (WCLD), Cybersecurities (CIBR), Digitale Kommunikation (XLC).
Aus dem zyklischen Industriebereich die Branchen Hausbau (XHB), Infrastruktur (PAVE), Wasser (PHO).
Aus dem Bereich Handel die Branchen Transport (IYT) und zyklische Konsumgüter (XLY).
Aus dem Gesundheitsbereich die Branche Biotechnologie (XBI).
Wie anhand dieser Auflistung deutlich zu sehen ist, begünstigt eine solche Branchenauswahl die Aussicht auf steigende Kurse an den Aktienmärkten. Anderenfalls hätten Branchen wie die Versorger (XLU), Healthcare (XLV) oder die defensiven Konsumgüter (XLP) die Nase vorn. Die Bereiche Versorger und Healthcare erhalten vom Marktradar nun sogar den Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell-Off spekulieren”. Die defensiven Konsumgüter konsolidieren hingegen noch auf hohem Niveau.
Ausreißer Chemie
Einen Ausreißer stellt aktuell die zyklische Branche Chemie (XLB) dar. Hier wird der Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell-Off spekulieren” vergeben und wir verorten im XLB-ETF ein tieferes Hoch. Für diese zyklische Branche vergibt der Marktradar für diesen Montag sogar einen Entry-Stempel auf der Short-Seite: eine gute Short-Gelegenheit zwecks Swing-Trade könnte sich aktuell für die deutsche BASF (WKN: BASF11) anbieten. Die Aktie ist nach schwachen Quartalsergebnissen Ende April an zwei Handelstagen um etwa 7 % eingebrochen. Nun konnte die Aktie etwa die Hälfte dieser Abwärtsbewegung wiedergutmachen. Ein Testen des Tiefs vom 28. April um 44 EUR könnte das Zeil eines Swing-Trades auf der Short-Seite sein (Schlusskurs am Freitag: 47,60 EUR).
Die Region Asien präsentiert sich uneinheitlich
China nun mit Trendfrühererkennungs-Chance ?
China war zuletzt ein klarer Underperformer aus der Region Asien. Am Donnerstag präsentierte Alibaba (BABA) schwache Quartalszahlen, die für einen breiten Verkaufsdruck bei China-Aktien führte. Dennoch sieht der Marktradar für Large Caps aus China (FXI) nun eine Chance für Trendfrüherkennung auf der Long-Seite. Die zweitgrößte Position im FXI-ETF hinter Alibaba (BABA) ist im FXI-ETF Meituan (WKN: A2N5NR; Marktkapitalisierung: 85 Mrd. EUR). Die nicht an der Wall Street handelbare Aktie bietet sich auf EUR-Basis aktuell gut für einen Swing-Trade auf der Long-Seite an: Seit Anfang März bewegt sich die Aktie in einer Range zwischen etwa 14,50 und 17 EUR. Am Freitag schloss die Aktie bei 14,98 EUR. Meituan bietet Online-Bestelldienste für Lebensmittel an, in China schon aufgrund der Größe des Landes ein lukratives Geschäft. Außerdem bietet Meituan eine Handelsplattform für Hotelreservierungen und Tickets für Flugreisen an. User haben über Meituan die Möglichkeit, Gutscheine, Coupons, Tickets und Reservierungen zu verkaufen. Außerdem fungiert das Unternehmen als Zahlungsabwickler für Geschäfte im Online-Handel.
Fünf Länder aus Asien sind nun trendfolgend kaufbar
Trendfolgend kaufbar sind aus Asien aktuell die Länder-ETFs für Japan (EWJ), Neuseeland (ENZL), Südkorea (EWY), Taiwan (EWT) und Vietnam (VNM).
Warren Buffett setzt aktuell auf Japan: Berkshire Hathaway besitzt mit Stand heute mehr Aktien aus Japan als aus jedem anderen Land außerhalb der USA.
Auffällig erschienen mir in der vergangenen Handelswoche neben den Aktien aus Japan auch die starken Kursbewegungen in Aktien aus Südkorea und Taiwan. Charttechnisch machen diese den Eindruck, als ob nach dem Erreichen des Tiefs vom Freitag, 12. Mai, nun eine recht radikale Umkehr vollzogen wurde. Womöglich spielen hier politische Entspannungen zwischen China und Europa eine Rolle. Die am Sonntag auf dem G7-Gipfel in Hiroshima von den Regierungschefs vereint formulierte Abschlusserklärung zum Umgang mit China erfolgte unter dem Motto “Risikoreduzierung”. Trader wissen natürlich, wann Risikoreduzierung zwingend notwendig wird: nämlich dann, wenn man wegen zuviel Adrenalin beim Traden Mist gebaut hat und nun erst einmal das Risiko runterfahren muss. Nein: das war keine Kampfansage an China, bestenfalls ein Kleinbeigeben auf neutralem Terrain.
Meist ist es ja so, dass Europa dem geopolitischen Bestreben der USA folgt und nicht andersrum: dass also die USA dem geopolitischen Willen Europas folgt. Sollte das nun tatsächlich einmal andersrum laufen ?
Börsianer entdecken den semantischen freudschen Fehler im Motto der G7-Abschlusserklärung und kaufen jetzt China-Aktien.