Marktradar für Montag, 19. Juni 2023
Gewährt der Markt den Bären nun zehn Wochen Zeit, um zu Bullen zu werden ?
Der VIX (CBOE Volatility Index) hat im laufenden Monat Juni die Marke von 18 Punkten bisher nicht überschritten. Das von der Chicago Board Options Exchange berechnete und von Tradern nicht direkt handelbare “Angstbarometer” schloss am Freitag bei 13,54 Punkten. Tiefer notierte der VIX in der Rückbetrachtung zuletzt vor Einsetzen der COVID-19 Pandemie im Februar 2020. Sollte die Marke von 18 Punkten als Widerstandszone halten, dann würden wir zudem erstmals seit Dezember 2019 wieder einen Monat haben, indem der VIX an keinem Handelstag über 18 notiert hat. Noch haben wir das Monatsende nicht erreicht, aber die Chancen stehen gut, dass der VIX nach dem großen Verfallstag für Termingeschäfte (16. Juni) erst einmal nicht mehr über dieses Ziel hinausschießen wird.
Beginnt nun ein neuer, über mehrere Jahre andauernder Bullenmarkt ? Der Marktradar vermutet: Ja. Aber zuvor warten 10 Wochen auf uns, in denen viel umgeschichtet wird, ohne dass sich der S&P 500 am Ende von der Stelle bewegen wird. Warum wir auf so eine Prognose kommen, verraten wir nun.
Niedrigere Vola – mehr Risikobereitschaft
Die Volatilität im US-Aktienmarkt hat inzwischen ein Niveau erreicht, bei dem Investoren grundsätzlich bereit wären, mehr in das Risiko zu gehen, weil ein bullisches Szenario für die nächsten Wochen und Monate nun auch von der Volatilität unterstützt wird.
Niedrigere Vola – weniger Rotation
Eine niedrigere Volatilität lässt Trader, die bereit sind, Aktien über Tage oder Wochen – aber nicht unbedingt über Jahre – zu halten, nun weniger Sektoren-Hopping betreiben. Nur weil eine Branche ein paar Tage schwächelt, heißt das nicht, dass jetzt zu einer anderen Branche “gehüpft” werden muss. Trader erwarten nun, dass Trends länger halten und wir nicht in – sagen wir – drei Monaten ganz andere Branchen in der Führungsrolle sehen werden.
S&P 500 ist überhitzt
Schauen wir uns den S&P 500 einmal etwas genauer im Wochenchart an.
Mit dem Anstieg von 2,22 % in der vergangenen Handelswoche ist der S&P 500 im Wochenchart über das Bollinger Band (hier in der Standardversion 20 / 2: also 20-Wochen Moving Average bei einer Standardabweichung von 2) gestiegen.
Das sahen wir zuletzt im April und November 2021.
Im April 2021 bewegte sich der S&P 500 nach solch einem Ausbruch in einer engen Handelsspanne über 10 Wochen seitwärts.
Im November 2021 bewegte sich der S&P 500 nach solch einem Ausbruch aus dem Bollinger Band in einer volatilen Handelsspanne über 10 Wochen seitwärts.
Wiederholt sich die Vergangenheit, dann dürften wir nachhaltig neue Hochs (oder Tiefs ?) erst nach 10 Wochen sehen.
Bleibt in den kommenden 10 Wochen die Volatilität niedrig, dann könnten wir ab Mitte / Ende August neue Höchststände sehen.
Steigt in den kommenden 10 Wochen die Volatilität an, dann könnten wir ab Mitte / Ende August neue Tiefs sehen.
Wir bevorzugen das erstgenannte Szenario und werden daher nun über die nächsten 10 Wochen den VIX sehr genau beobachten.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?
Marktbreite ist so stark wie lange nicht mehr
Knapp 60 % aller von mir beobachteten ETFs für US-Sektoren, -Branchen und -Themen erhalten nun den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken”. Nahezu alle sind “trendfolgend-kaufbar”, das heißt, wir sahen in den Tagescharts zuletzt höhere Tiefs oder höhere Hochs. Erst wenn die höheren Tiefs unterschritten werden, könnte eine Phase der längeren Korrektur eintreten.
Regionalbanken sind nicht unser Favorit – kaufbar aber trotzdem
Nur in einem dieser grundsätzlich trendfolgend handelbaren Branchen sahen wir zuletzt ein tieferes Hoch: Beim ETF für Regionalbanken (KRE). Damit ist die Branche Regionalbanken für den Marktradar nicht der Favorit für Trendfolgeaktivitäten – da gibt es viel interessantere Branchen, die in den nächsten Monaten und Jahren mehr Wachstums- und damit Aufwärtspotenzial versprechen – allen voran natürlich Aktien aus dem Bereich Technologie und Künstliche Intelligenz, womit Aktien aus den ETFs für die Bereiche Internet (WCLD), Software (IGV), Semiconductor (SMH) besonders gute Zukunftsaussichten haben dürften.
Dennoch verstärkt die zuletzt mehr als zufriedenstellende Performance von so mancher Regionalbank den Trend hin zu einem Bullenmarkt. Von Panik vor einer Kredit- oder Bankenkrise ist in den Charts von US-Regionalbanken zumindest absolut gar nichts mehr zu sehen. Trotz der negativen Presse stieg der KRE-ETF seit dem 4. April um fast 25 %.
Nahe einem 52-Wochen-Hoch notieren ausgerechnet die Regionalbanken, die nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank und der Signature Bank deren Einlagen übernommen haben.
First Citizens BancShares
Die in North Carolina ansässige First Citizens BancShares (FCNCA; Marktkapitalisierung 20 Mrd. US-Dollar) machte einen großen Schritt nach vorne, als sie die meisten Vermögenswerte und Verbindlichkeiten von SVB Financial erwarb. Der Deal steigerte immens den materiellen Buchwert von First Citizens, was sich im Aktienkurs auch widerspiegelt. Nach Bekanntgabe des Deals Ende März stieg die Bank an einem Tag um 50 %. Seitdem ist der Aktienkurs der Bank um weitere 40 % gestiegen.
New York Community Bancorp
Die New York Community Bancorp (NYCB; Marktkapitalisierung 8 Mrd. US-Dollar) übernahm die verbliebenen Einlagen der ebenfalls von der US-Einlagensicherungsbehörde, Federal Deposit Insurance Corporation, fallen gelassenen Signature Bank. Die New York Community Bancorp erwarb mehr als 30 Milliarden US-Dollar der verbliebenen Einlagen der Signature Bank. Darüber hinaus wurden 40 Bankfilialen von der Signature Bank nun in New York Community Bancorp umbenannt. Der New Yorker Regionalbank flossen durch den Deal mehr als 38 Milliarden US-Dollar an Vermögenswerten, darunter mehr als 25 Milliarden US-Dollar an Bargeld zu – der Bargeldbestand übertraf sogar die 13 Milliarden US-Dollar an Krediten, so dass man sich hier ernsthaft fragt, warum die Signature Bank überhaupt pleite gehen musste.
Der Deal umfasste allerdings nicht das Krypto-Banking. Vor allem das Krypto-Banking wurde der Signature Bank letztendlich zum Verhängnis – die anderen Vermögensbestände blieben als überzeugende Substanzkraft übrig, über die sich der Käufer nur grinsend die Hände reiben konnte.
Nach Bekanntgabe des Deals stieg die Aktie der New York Community Bancorp an einem Tag um über 30 %. Seitdem ist der Aktienkurs der Bank um weitere 23 % gestiegen.
Die Aktie von First First Citizens BancShares stellt aktuell die nach Marktkapitalisierung fünftgrößte Regionalbank in den USA dar. Die New York Community Bancorp stellt aktuell die elftgrößte Regionalbank in den USA dar und ist zugleich die Regionalbank, die im KRE-ETF am höchsten gewichtet ist (knapp 5 %).
Drei Short Squeeze Chancen
Gamestop
Hedgefondsmanager können das Shorten nicht lassen: Gamestop (GME) weist schon wieder einen Short-Float von über 20 % aus.
Der Vorstand des Unternehmens entließ am 8. Juni seinen CEO Matt Furlong, einen ehemaligen Amazonmanager, der ausgewählt wurde, um die Online-Expansion von Gamestop voranzubringen. Der Rauswurf schürte Besorgnis über das angeschlagene Geschäft des Händlers von Videospielen. Damit wurde der fünfte CEO in fünf Jahren bei Gamestop entlassen. Ryan Cohen, offiziell jetzt Executive Chairman bei Gamestop, zugleich umtriebiger aktivistischer Investor von RC Ventures, machte am 9. Juni Nägel mit Köpfen. Ryan Cohen kaufte Aktien von Gamestop im Wert von 10 Millionen US-Dollar zu einem Kurs von 22,53 US-Dollar. Am Freitag schloss die Aktie bei 24,56 US-Dollar.
Gut getradet, Ryan: Mal eben 900.000 US-Dollar Gewinn in wenigen Handelstagen gemacht.
Ob daraus ein gutes Investment und nicht nur ein kurzer Trade wird, ist aktuell absolut unklar.
Wer mit Ryan Cohen nun auf ein Wunder spekulieren will, also auf einen unternehmerischen Turnaround setzt bzw. an eine Neuerfindung des “Ladens” glaubt – quasi aus dem Hut gezaubert -, kann das gerne tun. Ryan Cohen wird der Zauberer sein, den Hut halten ihm die Aktionäre hin. Mehr als nur ein weißes Kaninchen hätten sie nun aber schon gerne.
Nordstrom
Auch in der Aktie des Betreibers von Kaufhäusern für Mode, Accessoires und Haushaltswaren Nordstrom (JWN) sehen wir einen Short-Float von über 20 %. Nun gab es im Juni einen Short-Squeeze, der durch die Quartalszahlen ausgelöst wurde. Die Aktie stieg im Monat Juni bisher um knapp 25 %.
Am 31. Mai nachbörslich hatte Nordstrom Quartalszahlen vorgelegt. Der Einzelhändler meldete im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2023 einen Gewinn pro Aktie von 0,07 US-Dollar. Analysten hatten mit einem Verlust von 0,10 US-Dollar pro Aktie gerechnet. Das war also eine faustdicke Überraschung. Der Umsatz sank gegenüber dem Vorjahresquartal um 10,9 % auf 3,18 Milliarden US-Dollar, lag aber immer noch über den Prognosen. Auch für die Zukunft erwartet der Kaufhauskonzern sinkende Umsätze, allerdings eine weitere Verbesserung bei den Margen.
In Anbetracht dessen, dass Leerverkäufer laut der Meinung des Marktradars in den nächsten 10 Wochen ihre Short-Positionen stark reduzieren werden, könnten Zocker auch hier durchaus erst einmal am Ball bleiben.
Plug Power
Als Short-Squeeze Aktie mit langfristig mehr unternehmerisch begründetem Aufwärtspotenzial – das wir momentan in Gamestop und Nordstrom nicht wirklich erkennen können -, sieht der Marktradar die Aktie Plug Power (PLUG).
Ende Mai gaben die Aktienanalysen von HC Wainwright eine Kaufempfehlung für Plug Power mit Kursziel 78 US-Dollar heraus. Das Kursziel überrascht, weil das einem Kurspotenzial von über 600 % entspricht. Schlusskurs der Aktie am Freitag: 10,57 US-Dollar.
Auch in der Aktie des Wasserstoff-Spezialisten sehen wir einen Short-Float von über 20 %.
Zuletzt gab es mehrere News über Projekte.
So plant Plug Power 6 Milliarden US-Dollar in den Bau von drei Wasserstoffanlagen vor der Küste Finnlands zu investieren, um die Ammoniak- und Stahlproduktion anzutreiben und so die Abhängigkeit Europas von fossilen Brennstoffen und russischem Öl zu verringern. Durch die Investition sollen bis zu 850 Tonnen grüner Wasserstoff pro Tag produziert und bis zu 1.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ziel des Unternehmens ist es, bis 2030 mehr als 2.000 Tonnen Wasserstoff pro Tag zu produzieren.
Außerdem strebt Plug Power an, bis 2030 stationäre Stromprodukte einzusetzen.
Außerdem sollen rund 500.000 Gabelstapler mit Brennstoffzellenantrieb ausgeliefert werden.
Plug Power wird Blue EnerFreeze, die Energietochter von STEF, dem europäischen Marktführer für Transport und Logistik von gefrorenen Lebensmitteln, mit einem vollständigen grünen Wasserstoff-Ökosystem für zwei Kühllager beliefern.
Die Temperaturen in den Kühl- und Tiefkühllagern können im schlimmsten Fall auf minus 30 Grad Celsius sinken. Unter diesen Bedingungen verlieren Gabelstapler mit Bleisäurebatterien schnell ihre Ladung. Mobilitätsanwendungen in Tiefkühllagern sind also technologisch anspruchsvoll. Sollte die Plug-Power Lösung beim Kunden das leisten können, was der CEO von Plug Power Investoren verspricht, dann winken aus Europa weitere Großaufträge – mindestens etwa 100 Kühllager, die auch von Blue EnerFreeze betrieben werden, könnten dann mit dem Wasserstoff-Ökosystem von Plug Power ausgestattet werden.
Es gibt aber jetzt noch mehr zu berichten: Durch die Partnerschaft mit dem Autohersteller Renault sollen bis 2030 etwa 100.000 HyVia-Transporter auf der Straße unterwegs sein: „Wir haben ein vertikal integriertes Wasserstoffunternehmen aufgebaut, das auf dem Weltmarkt schnell an Bedeutung gewinnt“, sagte Andy Marsh, CEO von Plug Power. „Unser Engagement für die Entwicklung, den Verkauf und den Einsatz echter Produkte hat uns zu einem führenden Unternehmen in der grünen Wasserstoffbranche gemacht. Wir verfügen über das Fachwissen und die Fähigkeit, den wachsenden Bedarf zu decken und grünen Wasserstoff für Kunden erfolgreich in Betrieb zu nehmen.“
Plug Power stellte auf dem Investorentag in dieser Woche den HL 1500 vor, den ersten tragbaren Wasserstofftanker weltweit, der darauf ausgelegt ist, die Infrastrukturkosten und die Einsatzzeit für wasserstoffbetriebene Nutzfahrzeuge zu reduzieren. Als komplett eigenständige “Tankstelle auf Rädern“ wird eine solche mobile Tankstelle ein wichtiges Puzzle für den Aufbau einer Infrastruktur für Ladesysteme für mobile Ströme darstellen. Aktuell ist diese Tankstelle auf Rädern nur für die USA geplant. Der HL 1500 betankt Nutzfahrzeuge genauso schnell mit Wasserstoff wie Diesel oder anderen fossilen Kraftstoffen und kann flexibel an mehreren Standorten eingesetzt werden. Mit einer Tankkapazität von 1.500 Kilogramm spendet es flüssigen Wasserstoff mit einem Druck von 350 Bar oder 750 Bar. Bis Ende dieses Jahres sollen drei Verkehrsbetriebe die ersten Lieferungen erhalten.
Wenn das Unternehmen seine ambitionierten Ziele erreicht, und in den verschiedenen Projekten nun mehr und mehr Großaufträge ans Land zieht, könnte der Umsatz laut einigen Analystenschätzungen im Jahr 2030 durchaus 30-mal so hoch sein wie aktuell.
Den Shortsellern dürfte in dieser Aktie nun zusehends “der Tank ausgehen”. Allein auf eine mobile Wasserstofftankstelle zu setzen, könnte für die nächsten Jahren mehr Rendite versprechen als die Annahme, dass grüner Wasserstoff für zukünftige Mobilitätslösungen eine deutlich geringere Rolle einnehmen wird als aktuell noch vorgedacht.
Selbst wenn die letztere Annahme durchaus ihre Berechtigung hat, so dürfte Plug Power dennoch kräftig wachsen – nämlich auch dann, wenn wir 2030 weniger mit Wasserstoff betankte LKWs auf Deutschlands Straßen sehen werden, als aktuell von den Wasserstoff-Optimisten erwartet wird.
Hinweis:
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