Marktradar für Montag, 7. August 2023
Sind langlaufende US-Staatsanleihen nun ein “Big Short” ?
Die inverse Zinskurve flacht zusehends ab: was bedeutet das jetzt ?
Invers wird eine Zinskurve genannt, wenn man für eine Staatsanleihe mit kurzer Haltedauer einen höheren Zins erhält als für eine Staatsanleihe mit langer Haltedauer. Das ist eigentlich nicht normal, weil derjenige, der zeitlich ein geringeres Risiko eingeht, höher belohnt wird als jemand, der zeitlich ein höheres Risiko eingeht. Hinter dieser Risiko-Logik steckt der Faktor Zeit: Je mehr Zeit verstreicht, umso höher steigt nämlich die rein theoretisch angenommene Ausfallrate einer Anleihe.
Normal wäre eigentlich: Je länger die Laufzeit, um so höher der Zins. Die Rückkehr zu dieser Normalität wird nun, Anfang August 2023, vom Markt vorweggenommen.
Der Marktradar konnte die Abflachung der inversen Zinskurve in der vergangenen Handelswoche sehr deutlich an den beiden ETFs für US-Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten (1 – 3 Jahre: SHY) und für US-Staatsanleihen mit langen Laufzeiten (länger als 20 Jahre: TLT) ausmachen. Der TLT-ETF verlor in der vergangenen Handelswoche etwa 3 %. Der SHY-ETF gewann hingegen 0,22 %. Das ergibt eine Diskrepanz von über 3 %, die in dieser Ausweitung historisch durchaus als extrem eingeordnet werden kann.
Für diese Performance-Berechnung sind die Kupons, die am 1. August in beiden ETFs ausgeschüttet wurden, berücksichtigt. Bond-ETFs sollten in Charts nur um Ausschüttungen bereinigt dargestellt werden, denn nur diese Darstellungen bilden die monetäre Realität für den Besitzer dieser ETFs ab.
Natürlich werden die professionellen Händler von Staatsanleihen das in der abgelaufenen Woche beobachtet haben. Und manche dürften dabei ins Schwitzen geraten sein. Nicht wenige sind auf dem falschen Fuß erwischt worden, denn langlaufende Anleihen werden – wir wir gleich sehen werden – von einigen renommierten Kennern der Bond-Szene als antizyklische Großchance betrachtet, die im Bondmarkt nur selten anzutreffen ist. Aber: dass die inverse Zinskurve so schnell abflacht, ist für dieses euphorische Narrativ nicht vorgesehen. Eine abflachende inverse Zinskurve würde nämlich steigende US-Leitzinsen bei steigender Inflation erwarten lassen. Und genau dieses Szenario wird uns nun durch den Bondmarkt als das vermittelt, was die nächsten Monate die geldpolitischen Debatten dominieren könnte: eine steigende Inflation bei steigenden Zinsen und einem womöglich auch steigenden Aktienmarkt.
Insbesondere für Anleihen mit langen Laufzeiten gilt der folgende Satz: Je höher das Zinsniveau, desto niedriger die Anleihekurse. Wenn also der TLT-ETF im Kurs fällt, dann wird der Kursverfall der Anleihen durch die Erwartung höherer Zinssätze abgefedert – diese Abfederung spürt der Anleihebesitzer natürlich nicht jetzt, denn momentan verliert er Geld, weil die Anleihekurse im TLT-ETF fallen – und er verliert rasant Geld: fast 5 % Verlust in vier Handelstagen im TLT-ETF (trotz ausgezahlten Zinskupon in Höhe von etwa 0,28 % am 1. August) sind für Zinsjäger kein Pappenstiel. Die Erholung von fast 1,8 % im TLT-ETF am Freitag, 4. August, dürfte eine Gegenbewegung sein, die keine nachhaltige Trendwende auslösen wird, sondern vermutlich weitere Verkäufe im TLT-ETF nach sich ziehen wird.
Der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock wies noch Mitte Juli darauf hin, dass Anleger Geldmarktprodukte im Umfang mehrerer Billionen Dollar gekauft hätten, um von steigenden Zinsen zu profitieren. Denn Geldmarktfonds steigen – im Unterschied zu Anleihen – im Kurs, wenn die Zinsen steigen. Sobald der Zinserhöhungszyklus den Zenit erreicht hat und die Zinsen wieder zu sinken beginnen, dürfte ein erheblicher Teil des in Geldmarktfonds angelegten Kapitals in Anleihen fließen, weil diese über Kurssteigerungen von sinkenden Zinsen profitieren würden. BlackRocks Präsident Rob Kapito sieht deshalb eine “Once-in-a-Lifetime-Opportunity” am Anleihemarkt und BlackRock positioniert sich entsprechend. Denn die Umkehr des aktuellen Zinserhöhungszyklus der Fed wird von BlackRock für 2024 erwartet.
Aber hoppla ! Da passt doch etwas nicht zusammen ! Was wir in der vergangenen Handelswoche gesehen haben, das spielt dem Black Rock Kapitalmarktstrategen Rob Kapito überhaupt nicht in die Karten. Der Bondmarkt scheint jetzt eher davon auszugehen, dass die Zinsen entweder wider Erwarten nicht gesenkt werden oder aber die Zinsen in Kürze erhöht werden.
“Alles halb so schlimm !” mag mancher am 2. August noch gedacht haben und den schwarzen Peter für den Abverkauf bei langlaufenden Staatsanleihen woanders erblickt haben: nämlich in der Herabstufung der Bonität von US-Staatsanleihen, die die Ratingagentur Fitch am Dienstag, 1. August, vorgenommen hatte. Fitch senkte US-Staatsanleihen von der erstklassigen Triple-A-Bewertung auf jetzt AA+.
Finanzministerin Janet Yellen, zugleich ehemalige Vorsitzende der Federal Reserve, nannte die Entscheidung „willkürlich“ und betonte in einem Statement, dass diese auf „veralteten Daten“ beruhe.
Natürlich kann diese Nachricht über die Herabstufung der USA auf ein AA+-Rating im Anleihenmarkt kurzfristig als Schockmoment für Besitzer von langlaufenden US-Staatsanleihen gewirkt haben – auch wenn diese Nachricht das – rational betrachtet – nicht ist. Eine Herabstufung der Bonität der USA wird sicherlich keine Staatspleite auslösen.
Eigentlich hätte Gold von dieser Meldung profitieren müssen und der US-Dollar einbrechen müssen – sofern die Herabstufung der Bonität der USA von AAA auf AA+ von den Marktteilnehmern wirklich als ein gewichtiger Grund für die Sorge einer Staatspleite angesehen worden wäre. Beides ist aber nicht passiert. Der US-Dollar ist im Zuge der Herabstufung im Wert gegenüber anderen Währungen gestiegen und der Goldpreis ist gefallen. Schon diese Kursreaktionen zeigen, dass der “Fitch-Aufreger” nicht der Grund sein kann, weshalb nun einige Kapitalmarktstrategen für den Bond-Bereich nachdenklich werden. Eine ganz andere Frage rumort nun in den Köpfen von Bond-Händlern: Ist ein Szenario sinkender Zinsen wirklich noch realistisch ?
Die Federal Reserve Bank of Atlanta hat zwischenzeitlich ihre Prognose für das Bruttoinlandsprodukt in den USA auf 3,9 % erhöht. Genau darum machen steigende Zinsen nun mehr Sinn als fallende Zinsen:
Warum sollte die FED die US-Leitzinsen senken, wenn die US Wirtschaft so stark wächst ? Das wäre – sowohl innen- als auch geldpolitisch betrachtet – mehr als nur töricht.
Dieser Meinung ist nun auch der bekannte US-Investor Bill Ackman, der verkündete, US-Staatsanleihen mit Laufzeiten von 30 Jahren zu shorten. Als Begründung verwies er jedoch eher auf die hohe Staatsverschuldung in den USA als auf die saustarke Verfassung der US-Konjunktur.
Ein zunehmendes Angebot an Staatsanleihen werde benötigt, um das aktuelle Haushaltsdefizit, künftige Ausgabenpläne und höhere Refinanzierungssätze zu finanzieren, so Ackman. Bill Ackman tätigt die Investition über Optionen, anstatt Anleihen direkt leerzuverkaufen.
„Ich bin überrascht, wie niedrig die langfristigen US-Zinsen angesichts der strukturellen Veränderungen geblieben sind, die wahrscheinlich zu einer höheren langfristigen Inflation führen werden, einschließlich der De-Globalisierung, der höheren Verteidigungskosten, der Energiewende, der wachsenden Ansprüche und der größeren Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer“, so Bill Ackman.
Langfristige Anleihen seien aus der Perspektive von Angebot und Nachfrage „überkauft“, und es ist schwer zu erkennen, wie der Markt mit der zunehmenden Emission „ohne wesentlich höhere Zinssätze“ zurechtkommen wird, fügte der bekannte Hedgefondsmanager hinzu.
Und was machten die großen US-Aktienindizes in der vergangenen Handelswoche ?
Auch diese sind im Kurs gefallen. Die ETFs auf den S&P 500 (SPY) und für den Nasdaq 100 (QQQ) erhalten für diesen Montag den Tagesstempel “Buy the Dip ?”, nachdem sie in der Woche zuvor noch mit dem Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken” gelobt wurden. Das Fragezeichen im Tagesstempel “Buy the dip ?” sollte groß geschrieben werden, da wir im Nasdaq 100 zuletzt ein tieferes Hoch gesehen haben und im S&P 500 ein höheres Tief unterschritten wurde. Ein Swing-Trade auf der Long-Seite sollte wegen einer überverkauften charttechnischen Momentaufnahme nur als Wette für wenige Tage gewagt werden.
Wir vom Marktradar gehen jetzt nicht mehr davon aus, dass noch in dieser Woche neue Zwischenhochs in den Charts dieser beiden ETFs erreicht werden können.
Saisonal schwache Phase voraus
Die Monate August und September gelten als saisonal schwache Monate für den Aktienmarkt. Da der US-Aktienmarkt zuletzt sehr gut gelaufen ist, könnten die nächsten acht bis zehn Wochen wie eine Verschnaufpause betrachtet und auch genutzt werden, um dann ab Oktober wieder genug Anlauf zu finden, um eine Jahresendrallye “mit ordentlich Sprungkraft” starten zu können. Ein solches Szenario erscheint vielen Marktteilnehmern nun aber so naheliegend, dass die Chance, dass es so auch eintritt, an Wahrscheinlichkeit abnimmt. Eine solche Prognose zu traden führt in der Regel nur selten zum Erfolg. Trade lieber was du siehst, nicht was du erwartest.
Schwache Reaktion auf starke Quartalszahlen
Sorgenfalten bereitet den Bullen aber nicht nur der saisonale Ausblick. Bedenklich für die Bullen wird nun auch die in den vergangenen zwei Wochen beobachtete, müde wirkende Reaktion der Marktteilnehmer auf gute Quartalsergebnisse. Diese führten nämlich nur in seltenen Fällen zu einem Freudensprung am Earning Day.
Laut einer Analyse der in New York ansässigen Bespoke Investment Group haben gute Quartalsergebnisse im Schnitt nur zu einem Kursanstieg von etwa 0,3 % am Earning Day geführt. In den vergangenen zehn Jahren stiegen Aktien, sofern die Erwartungen bei Gewinn und Umsatz geschlagen wurden, im Schnitt um ca. 1,6 % am Earning Day. Das zeigt deutlich, dass die Bullen aktuell etwas müde sind.
Die Bären können nun zwar nicht mehr als “Teddybären” verlacht werden, sollten aber auch von müden Bullen einigermaßen im Zaum gehalten werden können.
Immerhin haben mehr als 80 % der Unternehmen aus dem S&P 500 während der laufenden Berichtssaison die Erwartungen der Analysten geschlagen. Sinnvoll wäre es jetzt durchaus, einmal zu schauen, bei welchen Aktien nach den Quartalsergebnissen die Luft nach oben dünn geworden ist und bei welchen Aktien Quartalsergebnisse zu einem Kursfeuerwerk am Earning Day geführt haben – sozusagen der müden Feierlaune der Bullen zum Trotz.
Die Aktien, bei deren Ergebnisse die Aktionäre am lautesten die Sektkorken geknallt haben, könnten vielleicht zu den Outperformern der nächsten Monate werden.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?
Nur noch 20 von 59 beobachteten Sektor-, Branchen- und Themen ETFs erhalten für heute den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken”. Das entspricht einer Quote von knapp 34 %. In der Woche zuvor lag diese Quote noch bei 83 %.
Die höchste Quote (50 %) verzeichnen wir für diesen Montag für den Tagesstempel “Buy the Dip ?”. Dieser wird vergeben, wenn ein ETF im Chart unter einen als wichtig erachteten Gleitenden Durchschnitt gerutscht ist, nachdem zuvor neue Zwischenhochs erreicht worden sind.
Als trendfolgend kaufbar werden für diesen Montag 13 ETFs empfohlen. Darunter fallen weiterhin die Themen China und Öl, von denen wir annehmen, dass sich hier der Aufbau von relativer Stärke erst im Anfangsstadium befindet.
Außerdem fällt uns positiv der Finanzbereich auf; hier vor allem die ETFs zu den Themen Broker und Börsen (IAI), Regionalbanken (KRE), Versicherungen (KIE).
Auch der ETF für Holz- und Forstwirtschaft (WOOD) sieht konstruktiv aus und zeigt aktuell relative Stärke.
Eine Art Alleinstellungsmerkmal sehen wir im ETF für Infrastruktur (PAVE), der wohl das Thema der Stunde für die USA abbildet und eine deutliche relative Stärke zum übergeordneten ETF für Aktien aus dem Industriesektor (XLI) zeigt, welcher übrigens auf den Tagesstempel “Buy the Dip ?” abgestuft wurde.
Und schließlich – etwas überraschend – die Branche Einzelhandel. Der entsprechende ETF (XRT) ist vor allem in Small- und Midcaps investiert, so dass hier nicht auf die Branchenriesen Amazon, Walmart oder Costco Wholesale, sondern auf Unternehmen wie Carvana, Signet Jewelers oder American Eagle Outfitters gesetzt wird.
Investoren könnten nun überlegen, bei zuletzt stark gelaufenen Aktien aus dem Bereich Software, Internet, Halbleiter und Künstlicher Intelligenz ein paar Gewinne mitzunehmen und dafür in die Bereiche China, Öl und Finanzen zu investieren. Als Beimischung könnten Sondersituationen aus dem Bereich Infrastruktur und Holzwirtschaft gesucht werden. Die relative Stärke für Aktien aus dem Einzelhandel könnte darauf hinweisen, dass sich das Konsumentenvertrauen weiter aufhellen wird.
Der Marktradar hat sich genau diesen Suchempfehlungen unterworfen und sein Screening entsprechend ausgerichtet.
China und Einzelhandel
Begleitend zu dieser Kolumne führen wir seit der vergangenen Woche ein Musterdepot, das bei wikifolio.com geführt wird und sich im Moment noch in der Testphase befindet, also für User dieser Plattform (noch) nicht sichtbar ist. Aktuell sind wir in diesem Musterdepot im CSI 300 investiert. Hierbei handelt es sich um einen Index, der Aktien enthält, die vorwiegend in Shenzhen oder Shanghai gehandelt werden.
Als chinesische Einzelaktie, die auch von Börsianern aus der westlichen Welt an der Wall Street problemlos gehandelt werden kann, finden wir Vipshop (VIPS; Marktkapitalisierung: 10 Mrd. US-Dollar) zumindest kurzfristig sehr interessant. Langfristig bietet vor allem die günstige Bewertung Potential.
Bei Vipshop handelt es sich um einen in China bereits etablierten Markendiscounthändler, der Waren vorwiegend online, teilweise aber auch stationär verkauft.
Hier könnte ein Prä-Earning Trade aufgesetzt werden, da das Unternehmen am Freitag, 18. August, vorbörslich neue Quartalszahlen melden wird. Insbesondere der Ausblick könnte positiv überraschen, sofern bis dahin erste Maßnahmen des Politbüros verkündet wurden, die zu einer Ankurbelung des Konsumverhaltens in China führen sollen (wir hatten darüber im letzten Marktradar berichtet). Die Aktie wird für das laufende Kalenderjahr mit einem KGV von unter 10 bewertet. Für die nächsten zwei Jahre erwarten Analysten ein Gewinn- und Umsatzwachstum von etwa 6 % per annum. Umsatz und Gewinn soll etwa im Gleichschritt wachsen, so dass das Unternehmen auf Expansion angewiesen ist, um wachsen zu können.
Eine spekulative Alternative aus dem Bereich China Internet Retail stellt die Aktie von JD.com (JD; Marktkapitalisierung 60 Mrd. US-Dollar) dar. Obwohl JD.com um ein Sechsfaches höher an der Börse kapitalisiert ist als Vipshop, ist die Aktie in diesem Jahr kräftig unter die Räder gekommen, so dass der Chart fast Hot Stock Mentalität vermittelt, während sich Vipshop charttechnisch vertrauenserweckender darstellt. Seit Jahresbeginn hat die Aktie von JD.com mehr als 30 % verloren. Zum Vergleich: Die Aktie von Vipshop ist seit Jahresbeginn etwa um 30 % gestiegen. Auch JD.com wird für das laufende Kalenderjahr mit einem KGV von unter 10 bewertet. JD.com wird Quartalszahlen am Mittwoch, 16. August, vorbörslich vermelden.
Rückversicherer
Aus dem Bereich Versicherungen bieten Rückversicherer charttechnisch aktuell mögliche Einstiege für Trendfolger an. So notieren die beiden deutschen großen Rückversicherer Münchener Rück (WKN: 843002; Marktkapitalisierung: 47 Mrd. EUR) und Hannover Rück (WKN: 840221; Marktkapitalisierung: 23 Mrd. EUR) relativ nahe unter den in diesem Jahr erreichten Zwischenhochs. Die Aktie von der Münchener Rück konnte am 27. Juli ein zuvor im Chart ausgebildetes Doppeltop überschreiten, korrigierte danach in der Spitze um moderate 5 % und könnte nun die Trendfortsetzung starten.
Die Aktie der Hannover Rück ist charttechnisch Anfang Juni nach einem kurzen Ausflug über 200 EUR in nur wenigen Handelstagen auf unter 190 EUR gefallen. Am Freitag schloss die Aktie bei 192,20 EUR und könnte nun die etwa zwei Monate anhaltende Konsolidierung über die Vollendung einer w-Formation im Chart abschließen und wieder Richtung 200 EUR hochlaufen.
Den Ausbruch vorgemacht haben an der Wall Street bereits die in Bermuda und auf den Cayman Inseln ansässigen Rückversicherer aus dem Small- und Midcap Bereich SiriusPoint (SPNT; Marktkapitalisierung: 1,7 Mrd. US-Dollar ) und Greenlight Capital (GLRE; Marktkapitalisierung: 380 Mrd. US-Dollar ). Wenn die Small-Caps den Big-Caps vorauseilen, dann ist das aus Risk-On / Risk-Off Gesichtspunkten ein bullisches Zeichen.
Holz- und Wohnungsbau
Die beiden Top-Picks aus dem Bereich industrieller Holzverarbeitung sind sicherlich Simpson Manufacturing (SSD; Marktkapitalisierung: 150 Mrd. US-Dollar) und UFP Industries (UFPI; Marktkapitalisierung: 6 Mrd. US-Dollar). Beide Aktien zeigen eine deutliche relative Stärke zum WOOD-ETF, beide erreichten im Juli neue Allzeithochs, während der WOOD-ETF etwa 18,5 % unter dem Allzeithoch notiert, das im Mai 2021 erreicht worden war. Beide Aktien profitieren von der hohen Nachfrage im Haus- und Wohnungsbau in den USA und können sich aktuell über einen Mangel an Aufträgen sicherlich nicht beklagen.
Für einen Rebound- statt Trendfolge-Einstieg eignet sich hingegen die Aktie von der Trex Company (TREX; Marktkapitalisierung: 7,8 Mrd. US-Dollar). Die Aktie notiert etwa 50 % unter dem Allzeithoch, das im Juni 2021 erreicht worden war.
Die Trex Company ist der Marktführer für Produkte im Terrassenbau. Das Unternehmen hat sich auf die Herstellung von Wood-Plastic-Compositen unter Verwendung von ökologisch freundlichen Recycling-Materialien spezialisiert. Damit werden Terrassendielen und -geländer hergestellt. Außerdem bietet das Unternehmen noch Terrassenbeleuchtung und entsprechende begleitende Produkte wie Terrassenmöbel und anderes an. Damit profitiert der Konzern neben des Infrastruktur-Programms der Biden-Regierung zusätzlich vom Trend rund um ökologische Baustoffe, der zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen dürfte. Insgesamt gilt das Unternehmen – wie auch Simpson Manufacturing und UFP Industries – als Profiteur des anhaltenden Baubooms in den USA. Das beste aber ist: Die eigentliche Story dürfte erst beginnen, wenn die neuen Häuser gebaut worden sind, und die Nachfrage vom Bauholz auf die Innen- und Außenausstattung von bereits gebauten Häusern übergeht.
Während UFP Industries und Simpson Manufacturing bereits jetzt voll am Bauboom in den USA profitieren, wird dieser Auftrags-Boom bei der Trex Company erst für die nahe Zukunft erwartet. Das macht die Aktie von der Trex Company nun interessanter als die beiden anderen genannten Aktien – eben weil an der Börse die Aufträge der Zukunft und nicht die Aufträge der Gegenwart den höchsten Profit versprechen.
Charttechnisch hat sich in der TREX-Aktie eine wunderbar gerundete Untertassenformation gebildet, die erst wieder um 80 US-Dollar auf einen horizontalen Widerstand im Chart stößt (Schlusskurs am Freitag: 72,56 US-Dollar).
Die Trex Company hat am 31. Juli Quartalszahlen veröffentlicht, die die Analystenschätzungen deutlich übertrafen. Die Aktie konnte am Earning Day (1. August) um 10 % steigen. Danach korrigierte die Aktie, notiert aber noch über dem Kurs vor der Verkündung der Quartalszahlen.
Trex Company ist von der Bewertung her kein Schnäppchen mehr. Die Aktie kann aber als Qualitätsaktie eingestuft werden, da das Unternehmen in der Vergangenheit eine starke Nettogewinnmarge gegenüber dem Umsatz aufweisen konnte und praktisch schuldenfrei aufgestellt ist. Die Analysten erwarten bis 2025 einen Umsatzanstieg von 24 % und einen Anstieg beim Gewinn pro Aktie von etwa 40 %. Das ist schon ordentlich. Dennoch könnte der Umsatzanstieg noch zu konservativ berechnet sein und etwas mehr drin sein, sofern der Bauboom etwas mehr bewirkt als er aktuell verspricht.
Wir überlegen nun, die Aktie in unser Musterdepot aufzunehmen.
Öl
Im Musterdepot sind wir aktuell in der Schlumberger Limited (SLB; Marktkapitalisierung: 82 Mrd. US-Dollar) investiert. Die Aktie des Öldienstleisters bildet charttechnisch eine konstruktiv aussehende flache Basis aus, die aller Voraussicht nach nach oben hin verlassen werden dürfte. Quartalszahlen stehen erst wieder im Oktober an, sodass sich die Aktie relativ abhängig vom Ölpreis entwickeln sollte.
Der WTI-Ölpreis hat am Freitag ein neues 52-Wochen-Hoch erreicht. Seit Juni 2022 bildet sich im WTI-Ölpreis eine schön gerundete Untertassenformation aus. Bis zu einem WTI-Ölpreis von 100 US-Dollar müsste der Ölpreis noch einen Preisanstieg von 20 % hinlegen. Aktuell treiben Produktionskürzungen in Saudi-Arabien und Russland den Ölpreis künstlich nach oben. Sollte die Weltwirtschaft aufgrund von Produktionsverlagerungen in die USA und einer wirtschaftsfreundlicheren Chinapolitik stärker anwachsen als kalkuliert, dann könnte der WTI-Ölpreis die 100 US-Dollar Marke vielleicht schneller erreichen als so mancher denkt.
Nun noch zwei Beobachtungen, die den Marktradar positiv für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum stimmen. Diese betreffen die Frachtraten und die deutsche Industrie.
Hat der Baltic Dry Index nun den Tiefpunkt erreicht ?
Eine sehr interessante charttechnische Situation beobachten wir aktuell im Baltic Dry Index. Dieser kann im Rahmen einer Future-Strategie über den Breakwave Dry Bulk Shipping ETF (BDRY) von Privatanlegern an der Wall Street gehandelt werden. Der ETF soll laut Fondsprospekt die täglichen Preisbewegungen der kurzfristigen Futures für die Tockenmassenfracht abbilden. Dabei sollen die negativen Auswirkungen rollierender Kontrakte möglichst stark reduziert werden, indem eine Stufenstrategie zum Kauf von Kontrakten verwendet wird. Der starke Preisverfall im ETF lässt darauf schließen, dass eine solche Stufenstrategie vor Rollverlusten nicht wirklich schützt, so dass von einem direkten, langfristigen Investment in diesen ETF sicherlich abgeraten werden muss. Der ETF wurde im März 2018 aufgelegt und zeigt seitdem lange Trendphasen sowohl nach oben als auch nach unten an. Diese durchlaufen Strecken von bis zu 800 %, während es auf Monatsbasis oft nur wenige Korrekturen in die Gegenrichtung gibt.
Aktuell notiert der ETF recht nah am Allzeittief, das im Mai 2020 bei 3,75 US-Dollar erreicht wurde. Das Allzeithoch wurde im Oktober bei 42,22 US-Dollar erreicht. In dieser Spanne pendelte der ETF also um 1.125 %. Aktuell notiert der BDRY-ETF bei 4,89 US-Dollar und zeigt auf Tagesbasis im Chart nun ein Long-Signal für die Trendfrüherkennung an. Zuletzt hatte der ETF zwei höhere Tiefs und zwei höhere Hochs ausgebildet, wird vom Marktradar aber immer noch mit dem Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell-Off spekulieren” bewertet. Damit könnte man nun auf einen langfristigen Preisanstieg bei der Tockenmassenfracht wetten und vielleicht in den Genuss eines frühen Einstiegs kommen.
Deutschland vor dem Ende der Rezession ?
Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf den angeblich “toten Mann in Europa”: Deutschland.
Wie das Statistische Bundesamt in dieser Woche meldete, sind die Auftragseingänge für die deutsche Industrie im Juni 2023 um 7 % angestiegen. Damit hatte wohl kaum ein Volkswirt gerechnet. Vielleicht aber einige Börsianer, die im Allzeithoch im Dax, das dieser am 31. Juli erreichte, einen Vorlaufindikator für eine steigende Produktion in der Industrie sehen. Wieder einmal scheint sich hier zu bestätigen, dass die Aktienkurse vorwegnehmen, was in der Realwirtschaft geschieht. Ein Phänomen, das immer wieder auftaucht, Volkswirte aber immer wieder von neuem überrascht.
Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.