Marktradar für Donnerstag, 2. Februar 2023
Die FED lässt den Aktienmarkt von der Leine
Als gestern um 20 Uhr deutscher Zeit die Federal Reserve (FED) über ihren Vorsitzenden Jerome Powell verkünden ließ, dass der US-Zinssatz von 4,5 % auf 4,75 % angehoben wird, verlor der US-Aktienmarkt nur wenig an Wert. Genau dieser Zinsschritt war erwartet worden. Eine Überraschung blieb also aus. Der ETF auf den S&P 500 (SPY) tanzte recht orientierungslos zwischen 405 und 402,50 Punkten hin und her. Erst mit Beginn der Pressekonferenz ab 20:30 Uhr deutscher Zeit wurde aus Tänzeln ein Sprint. Bis 21:40 Uhr stieg der SPY schnurstracks nach oben. Erst in den letzten 20 Minuten realisierten Börsianer ihre “FED-Gewinne”.
Der Rückgang der Inflation befindet sich laut den Worten des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell in einem frühen Stadium. Er fügte hinzu, dass ein großer Teil der Wirtschaft außerhalb des Wohnungssektors diesen Rückgang der Preissteigerungen noch nicht erlebt habe.
Verbleiben wir kurz beim Wohnungssektor: Für den Wohnungsmarkt liegen nun die November-Daten vom Case-Shiller 20-Städte-Index vor, aus denen hervorgeht, dass die Immobilienpreise im November um 0,08 % gesunken sind und damit den fünften Monat in Folge. Der Immobilienmarkt scheint hier wieder einmal vorwegzunehmen, auf was für lang andauernde Preisrückgänge sich Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen nun einstellen müssen.
Unternehmen, die Gewinne zuletzt vorwiegend über Preissteigerungen erzielt haben – da fallen mir aller vorderst die Produzenten für Konsumgüter des täglichen Bedarfs ein -, müssen nun neue Strategien entwickeln, um die Gewinnquoten der letzten Quartale stabil am oberen Ende halten zu können.
Der US-Hausbauer Pulte Group (PHM), der am vergangenen Dienstag vorbörslich Quartalszahlen vorgelegt hat, verkündete auf der Telefonkonferenz, dass das Desinteresse der Hauskäufer am Immobilienmarkt nun wohl die Talsohle hinter sich gelassen hat. Als ich mir den Chart von der Pulte Group heute angesehen habe, staunte ich nicht schlecht. Die Aktie notiert nur noch 6,5 % unter dem Allzeithoch und bereits fast 70 % über dem 52-Wochen-Tief, das im Juni 2022 erreicht worden war.
Werden Aktien aus anderen Wirtschaftszweigen in Kürze auch wieder so weit fernab ihrer Tiefs und so nah dran an den Allzeithochs notieren ? Gut möglich, dass dieser Weg nun das Ziel für die Kursverläufe vieler Aktien von Unternehmen darstellt, deren Probleme zuletzt durch Inflation und Lieferengpässe geprägt waren – da fallen mir vor allem Industrieaktien wie Maschinen- und Anlagenbauer ein. Aber auch Autobauer und eigentlich alle Firmen, die “Geräte” produzieren, für die Materialien wie beispielsweise Holz, Stahl, Aluminium, Kupfer, aber auch Mikrochips benötigt werden.
Während der Pressekonferenz von Jerome Powell fiel mir auf, dass der Vorsitzende der US-Notenbank den US-Aktienmarkt als “Sorgenkind” gar nicht erwähnte. Die FED fokussiert sich auf die Inflation und den Arbeitsmarkt. Was der Aktienmarkt macht, scheint ihr ab nun ziemlich egal zu sein. Damit hat sie den Aktienmarkt von der Leine gelassen. Aktienanalysten müssen von nun an kein Störfeuer seitens der FED mehr befürchten und können sich auf die Analyse der Unternehmen konzentrieren. Makroökonomische, geldpolitische Überlegungen dürfen zu den Akten gelegt werden. Die Causa “Hawkische FED” interessiert niemanden mehr.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?
Momentum bringt systemisch bedingt aktuell nur wenig Rendite
Klassische Momentumstrategien dürften aktuell zumeist underperformen. Das sieht man gut an dem USA Momentum Factor Ishares ETF (MTUM). Etwa 60 % vom ETF stecken in Aktien aus den Bereichen Healthcare (35,17 %) und Energie (25,20 %) – Stand 31. Januar 2023.
Solche Modelle, die auf die Gewinner der Vergangenheit schauen, sind zu Beginn einer Hausse unglücklich positioniert. Denn die Gewinner von heute outperformen erst ab Oktober 2022 oder ab Januar 2023 – gehörten bis September 2022 meist zu den absoluten Loosern.
Frühestens ab dem 2. Quartal 2023 dürften in solchen Momentumstrategien, die sich oft an der Performance der vergangenen 6 Monate orientieren, Aktien aus den Bereichen Software, Internet und Semiconductor und vielleicht auch Gold- und Silberminenaktien finden lassen.
Diese systemisch bedingte falsche Positionierung stellt einen weiteren Grund für Trendfolger dar, bei Aktien aus dem Bereich Technologie jetzt keine Teilverkäufe vorzunehmen, sondern eventuell sogar die Positionen aufzustocken. Denn die Messung der Moemntumstärke aus Sicht von sechs Monaten hat sich in der Vergangenheit bewährt – und dürfte sich auch in der Zukunft als langfristig erfolgreiche Parameterwahl bewähren.
Das heißt für uns Trader: die neuen Momentumplayer stehen erst am Beginn ihrer “Momentum-Karriere”. Für das laufende erste Quartal sind Momentum-Player daher gezwungen, die “neuen Gewinner” zu kaufen und Aktien aus den Bereichen Healthcare und Energie in der Gewichtung in den Momentum-Portfolios zu reduzieren.
Gestern gehörten folgerichtig Aktien aus den Bereichen Öl- und Gas sowie Kohle zu den Aktien, die auch nach 20.30 Uhr verkauft wurden.
Stark gesucht waren gestern Aktien aus dem Bereich Transportwesen, Autobauer sowie Technologie. Viele Halbleiteraktien sprangen über ihre letzten Zwischenhochs.
In dem Chart des ETF für den Bereich Öl- und Gasdienstleister (XES) sahen wir gestern eine Tageskerze, die gegenüber dem Vortag sowohl ein höheres Hoch als auch ein tieferes Tief ausgebildet hat. Das zeugt von Unsicherheit. Ich gehe eher davon aus, dass in Kürze das Tief unterschritten wird, als dass die Branche die Kraft aufbringt, weitere Hochs auszubilden.
Im Chart des ETFs für fossile Energieträger (XLE) sehen wir, dass gestern ein höheres Tief per Schlusskurs unterschritten wurde. Mittelfristig sollten wir für den Energiesektor also tiefere Kurse erwarten. Institutionelle Strategen, die auf mittelfristige Momentumstärke setzen, dürften dafür sorgen, dass auch gut geführte Unternehmen wie Exxon Mobil (XOM), Chevron (CVX), Halliburton (HAL) – trotz aktuell sprudelnder Gewinne auf der Unternehmensseite – charttechnisch in den nächsten Wochen mehr und mehr “die Puste” ausgehen dürfte.
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