Marktradar für Montag, 13. Februar 2023
USA, Europa oder China: wer gibt nun die Richtung vor ?
Können die US-Aktienmärkte gegenüber Europa wieder eine vorlaufende Führerrolle übernehmen ?
Zuletzt schien es ja beinahe so, als ob Europa in Sachen Momentum den USA davoneilt. Sofern Investoren charttechnischen Mustern der Trendfrüherkennung gefolgt sind, ließen sich europäische und US-amerikanische Länderindizes bereits ab Mitte Oktober 2022 mehrheitlich trendfolgend handeln. Dabei zeigten die europäischen Aktien deutlich mehr Drive nach oben und ließen weniger Verlusttage zu als nordamerikanische Aktien.
Seit Anfang Februar verändert sich aber das Bild, was die Vorreiterrolle zwischen den USA und Europa betrifft.
Für diesen Montag vergibt der Marktradar für alle großen US-Aktienindizes (S&P 500, Nasdaq 100, Russell 2000) den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken”. Alle US-Indizes haben zuletzt höhere Hochs oder höhere Tiefs ausgebildet, so dass wir bei dem, was wir in den Charts sehen, nur dazu raten können, bei Schwäche zu kaufen.
Anders sieht es nun für die Region Europa aus. Dort sehen wir nämlich in den Charts mehrheitlich wieder erste tiefere Hochs und tiefere Tiefs. Wir betreiben hier also Trendfrüherkennung für die Shortseite. Sowohl der Euro Stoxx 50 (FEZ) als auch die meisten europäischen Länder-ETFs sind zwischenzeitlich auf den Tagesstempel “Buy the Dip” abgestuft worden.
Es gibt drei positive Ausreißer: Dänemark (EDEN), Italien (EWI) und Griechenland (GREK). Norwegen (ENOR) kann wegen der wiedererlangten Stärke von Investments im Bereich Öl und Gas, die wir in der vergangenen Handelswoche sahen, zumindest für diesen Montag mal wieder mit dem Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken” punkten.
Unter den europäischen Ländern, die auf “Buy the Dip” herabgestuft wurden, zeigen die drei großen europäischen Länder Deutschland (EWG), Frankreich (EWQ) und Spanien (EWP) noch eine gewisse relative Stärke – das meint hier, dass der Abstand zu den letzten Zwischentiefs auf der Unterseite noch recht marginal erscheint.
Die Wahrscheinlichkeit einer etwas länger andauernden Konsolidierung bei europäischen Aktien ist gegenüber Ende Januar deutlich gestiegen. Das heißt nun aber nicht, dass das Spekulieren auf neue Hochs – noch im Februar – chancenlos wäre.
Falls Europa die “Leithammelfunktion”, die dieser Kontinent ausnahmsweise seit Oktober 2022 einnehmen durfte, beibehalten kann, dann würde das bedeuten, dass die US-Aktienmärkte der aktuellen Entwicklung in Europa folgen: nämlich in Kürze tiefere Tiefs und tiefere Hochs ausbilden werden. Damit einher geht, dass Trader eine längere Konsolidierung oder gar Korrektur im S&P 500 einkalkulieren sollten.
Falls die USA hingegen den “Normalzustand” wiederherstellen kann, nämlich dass Europa an der Börse den USA folgt und nicht umgekehrt, dann hieße das: Europa wird nun den USA auf dem Weg nach oben folgen.
Was reden wir hier eigentlich so viel über USA und Europa ? Wäre nicht China der Kandidat, der am ehesten über die Wirtschaftsmacht verfügt, um den USA die Vorreiterrolle an den Börsen nehmen zu können ?
Daher nun ein schneller Blick auf den chinesischen Aktienmarkt:
Der ETF für Large-Caps aus China (FXI) befindet sich seit dem 1. Februar in einer Korrekturbewegung, bildet dabei charttechnisch eine bullische Flagge aus.
Am vergangenen Freitag wurde das tiefere Tief vom 6. Februar im FXI per Tagesschluss unterschritten. Bei dem tieferen Tief vom 6. Februar handelte es sich bereits um das zweite tiefere Tief innerhalb dieser Korrekturbewegung. Aktuell notiert der FXI-ETF knapp über 30 USD. Eigentlich müsste die Korrekturbewegung nun enden, damit nach Ausbruch aus der Flagge auch genügend Drive entwickelt werden kann, um zeitnah neue Hochs anzusteuern. Sollte sich die Korrektur bis 28 USD weiter ausdehnen, dann wären neue Hochs eher mittelfristig statt kurzfristig anzupeilen.
Wir können also konstatieren, dass der FXI-ETF – stellvertretend für China Large Caps – nun ähnlich wie der S&P 500 an einem neuralgischen Punkt im Chart angekommen ist. Die nächsten Tage könnten darüber entscheiden, ob wir schnell neue Hochs sehen oder vorab noch eine längere Verschnaufpause durchlaufen müssen.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?
AI steckt noch nicht im IPO-Hype
Erwähnt werden sollte hier auf jeden Fall, dass der Renaissance IPO ETF (IPO), den ich als Risk-On Taktgeber für sehr wichtig erachte, aktuell Schwäche zeigt.
Mit jeweils 10 % sind Airbnb (ABNB) und Snowflake (SNOW) die mit Abstand höchst gewichteten Positionen im IPO-ETF, der insgesamt 87 Aktien enthält (Stand: 1. Januar 2023).
Im Renaissance IPO ETF sind nur an der Wall Street gelistete Aktien enthalten, deren IPO nicht länger als drei Jahre her ist. Dabei wird nicht jedes IPO im ETF berücksichtigt. Laut Fondsgesellschaft sind Marktkapitalisierung und die Liquidität im börslichen Handel entscheidende Kriterien, ob eine Aktie in den ETF aufgenommen wird oder nicht. Firmen, die über eine Mantelgesellschaft an die Börse gingen (englischer Ausdruck: SPAC: Special Purpose Acquisition Company) werden nicht berücksichtigt.
Die am Freitag im Marktradar erwähnten Aktien C3.ai (AI) – die am 8. Dezember 2020 über ein reguläres IPO an die Börse kam – und BigBear.ai (BBAI) – die vor etwa zwei Jahren über ein SPAC an die Börse kam – waren bisher nicht im ETF enthalten. C3.ai könnte inzwischen aufgenommen worden sein – würde aber Ende 2023 dann wieder aus dem ETF wegen der 3-Jahre Sperrklausel rausfliegen.
Am Freitag ist der IPO-ETF unter das höhere Tief gefallen, das sich im Chart für den 7. Februar verorten lässt. Der ETF wird vom Marktradar für heute von “Kaufen oder Aufstocken” direkt auf “Unter Beobachtung” abgestempelt.
Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die USA noch nicht stark genug sind, um den “Normalzustand” wiederherzustellen. Der IPO-ETF sollte nun schnell über 29 USD (Tagesschlusskurs am Freitag: 27,98 USD) steigen, damit sich dieses Warnsignal nicht zu einem Auslöser für eine länger andauernde Kursschwäche im S&P 500 entpuppen wird.
Technologie und Zykliker weisen mittelfristig auf Risk-On Beibehaltung hin
Innerhalb des Sektors Technologie zeigen aktuell Branchen wie Semiconductor, Cybersecurities und Software (inkl. AI) relative Stärke gegenüber Untergruppen wie Social Media, Digitale Kommunikation oder Internet Content und E-Commerce. Auch der Bereich Green-Tech schwächelt aktuell als Untergruppenmitglied von Technologie ein bisschen. Dennoch muss der Technologie-Sektor weiterhin für Relative Stärke-Modelle, die als zeitlichen Parameter etwa drei bis vier Monate wählen (üblich ist meist sechs Monate) als der Sektor-Leader schlechthin bezeichnet werden, was gemäß Risk-On / Risk-Off Logik weiterhin bullisch zu bewerten ist.
Zyklische Industriegruppen zeigen sich in der Sektoranalye ebenfalls recht stark, so dass auch hier grünes Licht für mittelfristig höhere Kurse gegeben werden kann.
Nur IPO Aktien mahnen unter den Risk-On Kandidaten momentan davor, dass die Risk-On Mentalität ein bisschen an Reichweite verlieren könnte.
Konsumbereich im Gruppen-Check
Für den Konsumgütersektor sahen wir in den Untergruppen in der vergangenen Handelswoche eine recht breite Underperformance zum Gesamtmarkt.
Der zuletzt schwache Bereich für Konsumgüter des täglichen Bedarfs konnte am Freitag zwar etwas Boden gutmachen, nachdem der entsprechende ETF (XLP) am Donnerstag den Hoffnungsträger “Höheres Tief” (25. Januar) nach unten unterschritten hat. Das deutete am Donnerstag eigentlich auf mittelfristig eher schwächere Kurse bei Coca-Cola, Colgate etc. hin. Das Aufbäumen im Chart am Freitag hat von diesem pessimistischen Pieks nun ein bisschen den Stachel genommen.
Der ETF für zyklische Konsumgüter (XLY), also Konsumgüter, die wir nur anschaffen, wenn wir etwas bestimmtes damit erreichen wollen (wie Autos, Waschmaschinen etc.) hat am Freitag intraday das höhere Tief (7. Februar) unterschritten, konnte per Tagesschluss aber darüber schließen. Die Tageskerze und auch das Handelsvolumen vom Freitag im XLY-ETF deuten aber nicht an, dass es nun schnurstracks zügig nach oben gehen wird. Trader sollten zumindest ein oder zwei weitere tiefere Tiefs in diesem Bereich einkalkulieren.
Der ETF für den Konsumbereich Handel (XRT) zeigt inzwischen sechs tiefere Tageskurse in Folge, notiert aber noch beruhigend weit über dem im Chart zuletzt verorteten höheren Tief (19. Januar). Für diesen ETF vergeben wir einen klaren Entry-Stempel auf der Long Seite, das heißt Swing Trader sollten in Kürze von einem Up-Move wegen des überverkauften Zustandes bei Retail-Aktien profitieren können. Ob das dann zu mittelfristig neuen Hochs reichen wird, wage ich aktuell nicht zu prognostizieren. Das Handelsvolumen im XRT-ETF während der zuletzt sechs schwachen Handelstage lässt keine vernünftigen Rückschlüsse zu (etwas höher als im Durchschnitt der vergangenen 3 Monate, aber niedriger als während des starken Aufwärtsimpulses, auf den in den letzten sechs Handelstagen reagiert wurde).
Schauen wir uns einige Aktien aus dem Retail-Bereich genauer an:
Aus dem Retail-Leader-Bereich fallen mir die beiden großen Händler für Automobilzubehör, O’Reilly (ORLY) und Autozone (AZO), positiv auf. O’Reilly hat am Mittwoch Nachmittag exzellente Zahlen für das vierte Quartal vor allem auf der Gewinnseite geliefert und damit Analysten und Anleger begeistert. Bis Freitag konnte die Aktie knapp 5 % gegenüber dem Kurs vor Veröffentlichung der Quartalszahlen zulegen – und das, obwohl die Aussichten leicht unter den Erwartungen lagen. Autozone machte diese charttechnische Erholungsbewegung in bester Mitprofiteuer-Manier mit. Autozone wird erst Ende Februar neue Quartalszahlen präsentieren. Anleger könnten nun schon auf gute Zahlen spekulieren. Für Swing-Trader ist der Zug in beiden Aktien aber vorerst zu weit angefahren.
Charttechnisch interessant sehen Leader-Aktien aus dem Retail-Bereich aus, die sich an Kunden mit eher kleinem oder mittlerem Einkommen richten. Ross Stores (ROST) und TJX Companies (TJX) gehören seit dem 6. Januar zwar zu Underperformern gegenüber dem Gesamtmarkt, haben in dieser Zeit aber eine recht konstruktiv aussehende flache Basis fern des Auf und Abs im Retail-ETF (XRT) ausgebildet. Ross Stores wird wohl Ende Februar neue Quartalsergebnisse vorlegen (noch nicht bestätigt) und TJX Companies am 22. Februar vorbörslich (bestätigt).
Eine Leader-Aktie aus dem Bereich Retail, die für diesen Montag ähnlich wie der XRT-ETF ein gutes Swing-Set-Up zeigt, ist beispielsweise Dick’s Sporting Goods (DKS). Im Chart dieses Einzelhändlers für Sportartikel sahen wir fünf Tage in Folge negative Tageskurse. Zugleich notiert die Aktie mit recht weitem Abstand zum letzten höheren Tief (25. Januar). Die Aktie ist schön überverkauft, sodass ein Swing-Trade jetzt attraktiv erscheint.
Wer nun mittelfristig Chancen bei Einzelhändlern sucht, sollte aber einige fundamentale Faktoren bedenken, die in den nächsten Wochen prinzipiell für Gegenwind sorgen könnten: Die meisten Einzelhändler werden in den nächsten Wochen Quartalszahlen vorlegen. Marktforscher gehen davon aus, dass die Verbraucher in den kommenden Monaten etwas vorsichtiger mit ihren Ausgaben umgehen werden. Einige Einzelhändler aus dem Bekleidungs- und Modebereich haben bereits auf erhöhte Lagerbestände hingewiesen, so dass Markenprodukte womöglich zu Niedrigpreisen an die Verbraucher gehen müssen, was die Gewinnmargen der Unternehmen nach unten drücken wird.
Jenseit von USA, China und Europa
Nigeria ist aktuell der Bulle unter den Emerging Markets
Der von mir beobachtete ETF für Nigeria (NGE) konnte in den letzten beiden Handelstagen um mehr als 7 % steigen. Damit hat die Anfang dieses Jahres begonnene Aufwärtsbewegung für Aktien aus Nigeria in der vergangenen Handelswoche an Fahrt gewonnen.
Einige Emerging Markets sind wieder in Bärenhand
Einige Regionen-ETFs aus den Emerging Markets befinden sich aktuell in Bärenhand. Den Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell-Off spekulieren” vergibt der Marktradar weiterhin an Indien (INDA) und Pakistan (PAK), inzwischen aber auch an Vietnam (VNM). Aus der Region Nordafrika / Naher Osten erhalten diesen Tagesstempel aktuell Ägypten, Israel, Saudi-Arabien und Katar. Aus Lateinamerika ist aktuell Brasilien betroffen.
Die Türkei setzte den Handel an der Börse aus
Wegen der Erdbebenkatastrophe in der türkisch-syrischen Grenzregion befindet sich die Türkei in einer nationalen Trauerzeit. Der Handel an der türkischen Börse wurde am vergangenen Mittwoch unterbrochen, nachdem es zu einer Schockwelle mit kräftigen Kursverlusten gekommen war. Wegen der hohen Inflationsrate in der Türkei (aktuell liegt diese immerhin noch bei knapp 60 %) sehen Einheimische türkische Aktien offenbar als Wertanlage an. Ausländische Investoren haben sich aus dem türkischen Aktienmarkt weitestgehend zurückgezogen.
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Hinweis:
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