Marktradar für Dienstag, 20. Dezember 2022
Swings nur noch für die Short Seite aufsetzen ?
Was sagt uns das Contango in der Terminstrukturkurve für die VIX Futures ?
Die Terminstrukturkurve für die Futures auf den CBOE Volatilitätsindex (VIX) zeigt ein recht stabiles Contango an. Bis in den Juli 2023 hinein notiert jeder VIX-Monatsfuture höher als der Future des Vormonats. Zugleich ist gestern der CBOE VIX of the VIX (VVIX), der die innere Volatilität der impliziten Volatilität misst, von Handelsbeginn an wie ein Stein nach unten gefallen. Morgen wird der VIX-Future für den Dezember auslaufen und der Januar Kontrakt wird dann an “erster Stelle” stehen.
Contango und fallende implizite Volatilität sieht man in der Regel während eines stabilen Bullenmarktes: Jeder Marktteilnehmer meint zu wissen, wohin die Reise an den Börsen geht und schwimmt deshalb gelangweilt im Strom mit. Dabei wird mehr gegähnt als gehandelt. Niemand möchte gegen den Strom schwimmen. Wer viel Erfahrung hat, weiß aber, dass solche Zeiten häufig die “Ruhe vor dem Sturm” darstellen. Wie oben bereits geschrieben, sehen wir Contango in der VIX-Terminstrukturkurve und fallende implizite Volatilität normalerweise in stabilen Trendphasen während eines Bullenmarktes. Davon sind wir aktuell aber weit entfernt. Wenn uns nun die VIX-Terminstrukturkurve und die fallende implizite Volatilität nahelegen, dass wir uns in Ruhe vor dem Sturm langweilen, dann stellt sich natürlich die Frage: Wann bitte geht das “Gebläse” denn los?
Vermutlich erst 2023 und womöglich bereits in der ersten Handelswoche. In einem Bullenmarkt führt uns das Gebläse dann in die Tiefe, also fallende Kurse beenden die Langeweile und führen bei wenig erfahrenen Händlern häufig zu Schockstarre oder zu übermotiviertem Handeln. Professionelle und erfahrene Händler können in einem Bullenmarkt die Windrichtung des Sturms absolut treffsicher voraussagen – und sollten sich vorab richtig positioniert haben. Nur das Wann, also der Beginn des “Gebläses”, bleibt im Ungewissen.
Aber wie sieht es in einem Bärenmarkt aus? Da die Volatilität eigentlich nie in die Höhe schießt, wenn die Aktienmärkte in die Höhe schießen, sondern dann, wenn großer Verkaufsdruck bei Aktien aufkommt, sollten wir auch jetzt für den zu erwartenden Sturm die Windrichtung gen Süden verorten. Alles andere wäre sozusagen “gegen die Natur”.
Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes
Im Marktradar von gestern haben wir noch Entry Stempel für die Branchen Versorger, Social Media und Internetaktien auf der Long Seite vergeben. Aber die Erwartungen konnten am Montag absolut nicht erfüllt werden. Alle drei Branchen werden für heute mit dem Tagesstempel “Unter Beobachtung” abgestuft.
Von den 56 von mir beobachteten Branchen erhält nur noch ein einziger Bereich den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken”: China-Internet-ADRs.
Für 22 Branchen (also knapp 40 %) vergeben wir den Tagesstempel “Buy the dip”. Wie wir gestern sahen, besteht aktuell aber keine Nachfrage nach Buy the dip Käufen. Daher würde ich Swing Set-Ups – wenn überhaupt – bis Silvester nur noch auf der Short Seite spielen.
Hausbau und Schifffahrt bleiben Top Picks für Value Investoren
Entry Stempel auf der Long Seite vergeben wir heute für zwei Branchen: Hausbau (XHB) und Schifffahrt (BOAT). Wie bereits in früheren Kolumnen ausgeführt, ist in Aktien aus diesen Branchen eine Rezession bereits in der KGV-Bewertung eingepreist. Aktien aus den Bereichen Schifffahrt und Hausbau sind aktuell Top-Picks für Value Investoren. Damit ist aber nicht gemeint, dass wir in den nächsten Wochen und womöglich Monaten mit diesen Aktien auch Geld verdienen können. Kommt es zu einem Sell-Off im Januar 2023, dann werden sich auch diese unterbewerteten Aktien nicht gegen die Windrichtung stemmen können. Womöglich verlieren diese Aktien aber weniger als andere.
Banken liefen gestern besser als der Gesamtmarkt
Gestern gehörten Banken zu den Outperformern. Aktien aus dem Finanzbereich, die von steigenden Zinsen profitieren und deren Immobilien- und Investmentgeschäft geringere Ertragschancen im Geschäftsfeld erwarten lassen als das Kreditgeschäft, könnten zu Outperformern in den ersten Monaten 2023 werden.
Charttechnisch kann diese Vermutung aktuell aber nicht bestätigt werden. Sowohl Banken als auch Broker und sogar Versicherungen sehen charttechnisch angeschlagen aus. Hier dürfte sich eine Konsolidierung unterhalb der zuletzt erreichten Hochs noch über mehrere Wochen oder Monate hinziehen.
Autos ohne Nachfrage
Zu den Underperformern gehörten gestern Autohersteller und Autozulieferer. Außerdem Aktien aus den Bereichen Casinos und Informationstechnologie sowie Solar.
Eine Swing Short Chance sehe ich beispielsweise bei O’Reilly Automotive (ORLY). O’Reilly ist einer der führenden Ersatzteilhändler für Autos in den USA. Die Aktie liegt seit Jahresbeginn etwa 15 % im Plus, gehört nicht nur in diesem Jahr, sondern auch langfristig zu den Dauerläufern am Aktienmarkt. Profitieren kann das Unternehmen aktuell davon, dass die Inflation und auch die Kaufzurückhaltung bei Neuwagen die Nutzungsdauer von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor verlängert und Ersatzteile wie Fussmatten, Kopfstützen, Seitenspiegel etc. vermehrt nachgefragt werden.
In dem Chart von ORLY sehen wir inzwischen aber zwei tiefere Tiefs und ein tieferes Hoch. Evtl. hat sich gestern das zweite tiefere Hoch bei 828,01 $ ausgebildet (Schlusskurs gestern: 816,43 $). Bei der 800er Marke sehen wir im Chart eine wichtige Unterstützung; unter anderem hat sich dort die Nackenlinie einer Schulter-Kopf-Schulter Formation gebildet. Das Allzeithoch in der Aktie wurde am 28. November erreicht (870,92 $). Ein nochmaliger Test und eine mögliche Unterschreitung der 800er Marke halte ich nun für wahrscheinlicher als ein schneller Run auf das Allzeithoch.
Dynamic Breakdown Attacks mit hoher Trefferquote
Aktuell sehen wir eine hohe Trefferquote bei Dynamic Breakdown Attack Manövern. Also bei Aktien, die ein paar Tage lang über einer Unterstützung herumeiern, bis es den Marktteilnehmern zu langweilig wird, so dass die Aktie dann mit Schwung über Stopp-Loss Lawinen nach unten gerissen wird. Die geringe Liquidität aktuell begünstigt solche Stopp-Loss Lawinen.
Eine solche könnte in Kürze in Omnicell (OMCL) starten. Der Dienstleister für Gesundheitsdienstleister ist nach den Quartalszahlen, die am 2. November veröffentlicht wurden, um über 30 % nach unten gerauscht. Der Ausblick war eine herbe Enttäuschung gewesen und verweist womöglich darauf, dass die Kundenzufriedenheit nicht so gut ist, wie zuvor vom Unternehmen kommuniziert wurde. Omnicell ist eine Aktie, die trotz recht moderater Bewertung aktuell wohl niemand im Depot unbedingt für 2023 halten möchte.
Sollte die Aktie unter 46 $ fallen, könnten Stopp-Loss Lawinen in Gang kommen. Die Short-Ratio beträgt etwa 4 %, d. h. dass von allen täglich gehandelten Aktien ca. 4 % Leerverkäufe sind. Das ist im aktuellen Marktumfeld wenig – und erscheint mir sogar noch steigerungsfähig – so dass ein Squeeze-Out in dieser Aktie nicht gefürchtet werden muss.
Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.
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