Marktradar für Freitag, 20. Januar 2023
Eigenleben der Grizzlies
Der charttechnische Widerstand im S&P 500 wird ernst genommen. Warum ?
Die obere Begrenzung des Trendkanals im S&P 500 verläuft etwa an der runden 400er Marke. Dieser Widerstand schien für viele Marktteilnehmer am Mittwoch zur Eröffnung ein hinreichender Grund gewesen zu sein, um massiv Put Optionen zu kaufen. Die von der Chicago Board Option Exchange (CBOE) gemessene Put-Call Ratio erreichte zur Handelseröffnung einen Wert von etwa 2,5 – das ist ein wirklich extrem hoher Wert. In Zeiten, wo die Marktteilnehmer panisch auf Drawdowns reagieren, wäre das ein exzellenter Kontraindikator gewesen – Steilvorlage für ein schnelles Agieren in Gegenrichtung. Da von Panik aber am Mittwoch (und auch am Donnerstag) nichts zu spüren war, war die Kontra-Idee fehl am Platz – und was schlussendlich folgte, war ein Abverkauf, der auf wenig Gegenwehr stieß.
Vermutlich müssen wir diese Put-Käufe als eine Art Wette betrachten, die die Börsianer in den USA nun einzugehen bereit sind. Im Rest der Welt sind die Bären schon in ihren Höhlen verschwunden. Nur der in Nordamerika beheimatete Grizzly scheint das noch nicht gehört zu haben – bzw nicht hören zu wollen. Was könnten die Gründe sein, warum sich die USA hier so sehr abkoppeln möchten – so sehr ein bärisches, ich korrigiere: Grizzly-Eigenleben bevorzugen ?
Fundamentale Gründe für einen Alleingang der Grizzlies lassen sich finden – wer sucht, findet immer etwas: Der S&P 500 hat ein durchschnittliches KGV von 18, was so in etwa dem Fünfjahresdurchschnitt im S&P 500 entspricht – in den drei Jahren vor der Pandemie war der S&P 500 allerdings sportlich bewertet gewesen und stieg trotzdem. Je länger man in den Zeitreihen zurückgeht, desto niedriger lässt sich das durchschnittliche KGV berechnen, so dass viele meinen, der S&P 500 sei überbewertet.
Für den Marktradar ist das eher Kaffeesatzleserei. Entscheidender ist, wo und was gekauft wird. Wo (in welchen Ländern, in welchen Branchen) werden Aktien akkumuliert?
In Europa, in China, in nahezu allen Schwellenländern und auch in den sogenannten Frontier Markets herrscht Aufbruchsstimmung an den Börsen – sogar in Brasilien: am 8. Januar kam es zum Sturm auf den Regierungssitz in Brasilia. Trotz drohender Regierungskrise stieg der ETF für Brasilien (EWZ) um 4,3 % (Stand heute). Der S&P 500 büßte mit dem Abverkauf der letzten beiden Handelstage das erreichte Plus seit dem Sturm auf den Regierungspalast in Brasilia nahezu komplett ein.
Weiter werden die hawkische Ausrichtung der FED, schlechtere Margen für US-Unternehmen infolge Preis-und Lohndruck als Grund für das Eigenleben der Grizzlies genannt.
Auch eine beginnende Zurückhaltung der Konsumenten macht den Börsianern in den USA offensichtlich Angst: Bekanntlich halten die US-Bürger nicht viel vom Sparen – in Krisenzeiten legt man kein Geld zurück, sondern besorgt sich einen Kredit. Droht da vielleicht ein Pulverfass zu explodieren, das den US-Amerikanern und später vielleicht auch uns irgendwann um die Ohren fliegen wird?
Der Versicherungskonzern Allstate sprach in dieser Woche eine Gewinnwarnung aus und eines der größten Kreditinstitute in den USA, Discover Financial Services, sieht vermehrt Abschreibungen von Krediten auf seine Bilanzen zukommen; Börsianer verschreckte der hohe Anstieg bei den Rückstellungen für mögliche Kreditausfälle, über die Discover Financial Mitte dieser Woche berichtete.
Was sehen wir unter dem Radar der großen Aktienindizes?
Glänzt Gold bald noch heller ?
Die mit Abstand stärkste Branche gestern waren die Goldminen gewesen. Ungeachtet der jüngsten Anstiege wird weiter in dieser Branche akkumuliert. Wer Momentum sucht, der wird aktuell vor allem in Minenaktien fündig. Trends an der Börse dauern oft länger als man denkt – und ein Trend endet manchmal erst, nachdem es zu einer parabolischen Übertreibung kam. Solche Höhenflüge in Aktien sind seit Anfang 2022 jedoch eine Seltenheit an der Wall Street geworden – der griesgrämige Spielverderber, der jeden Höhenflug mit der Keule unterbricht, ist einfach nicht von der Bühne zu vertreiben.
Gold-Experten raten schon vereinzelt dazu, in den Goldminen jetzt Gewinne mitzunehmen. Der ETF für Goldminen (GDX) ist seit Anfang November um etwa 43 % gestiegen. Um 33 US-Dollar lässt sich im GDX-ETF ein horizontaler Widerstand im Chart verorten – aktueller Stand im GDX: 32,02 US-Dollar. Wird die 33 Dollar Hürde genommen, könnte es zu einer schnellen parabolischen Bewegung kommen – und aktuell halte ich das für zumindest marktpsychologisch wahrscheinlicher als ein Einknicken unter der 33 Dollar Marke. Denn so mancher ist zu spät auf den Gold-Zug mit aufgestiegen und will nun nachholen, was er bei der Anfahrt des Zuges verpasst hatte.
Mitunter können Goldminen ein Eigenleben gegenüber anderen Branchen führen – vor allem nach der Dot.com Blase Anfang dieses Jahrtausends war das eindrücklich zu beobachten gewesen. Aber die Umstände heute sind ganz andere als damals. Geschichte wiederholt sich meistens nur, wenn die alten Geschichten vergessen worden sind. Nur wer Geschichte vergessen hat, kann auf die Idee kommen, einen Krieg gewinnen zu können.
Rüstungsaktien nach dem Erdrutsch
Krieg! Das war das unleidige Stichwort für die Branche, mit der diese Kolumne heute enden soll: Die Big-Player der Rüstungsaktien in den USA: Lockheed Martin (LMT), Northrop Grumman (NOC) und Raytheon (RTX) haben allesamt, wie der S&P 500 auch, den Abverkauf in den letzten zwei Handelstagen mitgemacht. Aber die, die noch in diesen Aktien drin geblieben sind, haben den “Erdrutsch” schon hinter sich. Alle drei Aktien sind unter wichtige Unterstützungslinien gerutscht, sodass hier nun wirklich die Grizzlies wüten dürfen. Der nächste Rebound in diesen Aktien könnte zu einem Einstieg in einen Short-Trade führen. Wer den Grizzlies folgen möchte, der könnte im Rüstungssektor einen “Sammelort” für diese Graubär-Art finden, die sich in der freien Wildnis übrigens meist mit braunem Fell zeigt.
Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.
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