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Marktradar vom 07. Dezember 2022

Marktradar vom Mittwoch, 7. Dezember 2022 von Stefan Pröhl

Marktradar für Mittwoch, 7. Dezember 2022

Zwei Schritt vor und drei Schritt zurück

Was vielen Börsianern aktuell die Lust am Traden nimmt, sind die radikalen Kehrtwendungen, auf die richtig zu reagieren auch erfahrenen Tradern nur schwer gelingt – zumal diese Kehrtwendungen nicht nur im Markt anhand der Chartkurse verfolgt werden, sondern diese Kehrtwendungen emotional und psychisch vom Trader häufig selbst vollzogen und damit erlebt werden.

Noch am Freitag schrieb ich in dieser Kolumne zu der Rede des Chefs der US-Notenbank im Brookings Institute: “Jerome Powell hat am Donnerstag eine 90° Wendung in der Rhetorik vollführt, womit der Trend, an dem sich nun das Timing der Börsianer orientiert, neue Vorzeichen erhalten hat. Diese Vorzeichen werden nicht von einem zum anderen Tag über den Haufen geworfen.”

Am Montag sind diese Vorzeichen aber “über den Haufen geworfen worden” !

Nicht so schnell ! Blicken wir noch einmal zurück: Auf die Kehrtwendung von Jerome Powell folgte zwar zunächst eine Kehrtwendung der Börsianer – dieses noch am gleichen Tage der Rede (Mittwoch) -, die dann am Freitag trotz der kurzen Schrecksekunde, die ein die Inflationsrate tendenziell befeuernder Arbeitsmarktbericht hervorgerufen hat, weiterhin befolgt wurde. Am Montag folgte dann die Kehrtwendung der Börsianer von ihrer eigenen Kehrtwendung. Dieses “Hü und Hott” oder “Zwei Schritt vor und drei Schritt zurück” Verhalten mögen Börsianer nicht – und dieses vor allem dann nicht, wenn es sie selbst betrifft. Denn wer macht die Kurse? Das sind natürlich wir. Nun dem Markt die Schuld für dieses “charakterlose und irgendwie respektlose Verhalten” zu geben, bringt gar nichts.

Der ETF für den S&P 500 (SPY) eröffnete gestern knapp unter der 400er Marke und fiel dann in der Spitze bis auf 391 Punkte. Am Ende schloss der SPY noch über den Verlaufstiefs von Ende November – vermied also ein Verkaufsignal laut Dow-Theorie. Der ETF für den Russell 2000 (IWM) unterschreitete aber die Novembertiefs per Schlusskurs – erfüllte damit ein Verkaufssignal laut Dow-Theorie. Gemäß Risk-On / Risk Off Logik dürfte der IWM als vorlaufender Risk-On Part nun tendenziell den SPY mit nach unten ziehen.

Aber vielleicht sehen wir auch hier in ein paar Tagen die Kehrtwendung von der Kehrtwendung. Immer öfter lese ich dazu in Kolumnen: Typisch Bärenmarkt. 

Vergangenen Donnerstag betitelte ich den Marktradar mit: “Der Bärenmarkt ist spätestens seit gestern, 19:30 Uhr, beendet”. Auch hier muss ich nun die Kehrtwendung von der Kehrtwendung eingestehen. Nervig. – Bald ist Weihnachten – auch diese etwas hilflos so dahin geschriebene Floskel liest man nun immer häufiger. Na ja, etwas Wahres ist an dieser Aussage ja dran. Eine Kehrtwendung von der Aussage “Bald ist Weihnachten” ist zumindest in den nächsten Tagen nicht zu erwarten.

Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes ?

Zahlreiche Branchen sind heute von “Kaufen oder Aufstocken” auf “Buy the Dip” herabgestuft worden. Das bedeutet, dass nun Swing-Trades gewagt werden könnten bzw. – nachdem ein kleiner Swing Up erfolgt ist – nach Einstiegen für Short-Set-Ups gesucht werden könnte. 

Für mich bieten sich solche Short-Einstiege vor allem bei Aktien aus dem Bereich Banken sowie Öl und Gas an. So ein Manöverplan bietet sich auch für Risk-On Branchen wie z.B. 3D-Druck, Wasserstoff bzw. Aktien aus dem Software oder Internet Bereich an. Dabei könnte darauf geachtet werden, ob solche Aktien immer noch ein relativ hohes KGV bzw. KUV aufweisen. 

Die zu hohe Bewertung von Wachstumsaktien wird der entscheidende Faktor für Shortselling-Stockpicker sein – sofern sich die Anzeichen einer Rezession in den Wirtschaftsdaten mehren sollten, was aktuell mehr als negative Prophezeiung geraunt wird und eigentlich noch nicht aus den aktuellen Wirtschaftsdaten mit Sicherheit gefolgert werden kann. Der GDP Now Indikator prophezeit aktuell für das 4. Quartal 2022 ein BIP-Wachstum für die USA von 3,4 %. Eine Rezession ist aktuell wirklich nur eine Prophezeiung und kein Status-Quo-Argument.

Es gibt aber auch Branchen, die weiterhin den Tagesstempel “Kaufen oder Aufstocken” erhalten. Hier könnte durchaus weiter auf Trendfolge gesetzt werden. Das sind z. B. Aktien aus dem Bereich Goldminen, Gesundheit, defensive Konsumgüter, Einzelhandel, Versicherungen, Stahl und Maschinenbau sowie Raumfahrt und Rüstung. Außerdem Fluggesellschaften, Hausbauer und REITs Aktien. Etwas überraschend, dass auch Aktien aus der Halbleiterindustrie dazugehören. Diese konnten sich zuletzt relativ gut behaupten. Intel (INTC) oder Nividia (NVDA) können sich im Chart z.B. noch oberhalb der Novembertiefs halten. 

Swing Short Manöver in Kürze also lieber bei Energie und Finanzaktien als bei Halbleiteraktien in Erwägung ziehen ?

Es müssen nicht immer Wolkenkratzer sein

Aufgefallen ist mir zuletzt eine relative Stärke bei Hausbauaktien. Es ist bekannt, dass der Hausbau in den USA und auch in Europa aufgrund steigender Zinsen ins Stocken geraten ist. Falls die Zinsen weiterhin relativ hoch bleiben, wovon eigentlich auszugehen ist, ist eine Erholung oder gar dynamischer Turnaround im Hausbausektor aktuell überhaupt noch nicht abzusehen. Schaut man sich den Chart des größten US-Hausbauers D.R. Horton (DHI) an, so fiel auf, dass die Aktie bereits im Mai 2021 relative Schwäche zum Markt zeigte. Dies zeigt eindrucksvoll, was für ein sensibler Frühindikator Hausbau Aktien sein können. Würde man die Annahme reizvoll finden, dass der, wer zuerst leidet, auch der erste sein wird, der sich erholt, dann könnte ein kräftiger Hausbauboom in den Charts von solchen Aktien mit mindestens 6-Monaten Vorlauf durchaus frühzeitig das Ende oder gar das Ausbleiben einer Rezession signalisieren. Erholen sich solche Aktien denn jetzt schon?

D.R. Horton hatte am 9. November Quartalszahlen gemeldet, die deutlich unter den Schätzungen lagen. Und was machte die Aktie am Earning Day: sie stieg um fast 13 % ! Das nennen Börsianer Buy on Bad News. Damit wird das Ende eines Abschwungs vorweggenommen. Seit diesem ungerechtfertigten (?) Kursanstieg hält sich die Aktie stabil oberhalb des Niveaus vom Earning Day. Bereuen müssen die Post-Earning Trader ihren Einkauf in D.R. Horton im Moment also noch nicht.

Stefan Pröhl

Technischer Analyst & Wikifolio Trader

D.R. Horton scheint ein Top Pick für Value Investoren zu sein. Das aktuelle KGV liegt bei 5. Für 2023 wird ein Gewinnrückgang erwartet, so dass das KGV23er auf fast 7 steigen sollte. Für 2024 soll es laut Schätzungen dann wieder auf ca. 6 fallen. Historisch wurde D.R. Horton über lange Perioden mit KGVs zwischen 10 und 15 bewertet. Da scheint also in den Kursen noch viel Luft nach oben drin zu sein – und das alles ohne Wachstum.

Gestern nachbörslich hat übrigens Konkurrent Toll Brothers (TOL) Quartalszahlen gemeldet. Der US-Hausbauer konnte die Schätzungen bei Gewinn und Umsatz für das letzte Quartal schlagen, und dieses recht deutlich. Der Gewinn lag 20 % über den Schätzungen, der Umsatz 15 % über den Schätzungen. Allerdings erwartet Toll Brothers für das nun folgende Quartal einen Umsatz, der etwas unter den zuvor genannten eigenen Prognosen liegt.
Nachbörslich stieg die Aktie gestern um ca. 0,5 %. Toll Brothers wird aktuell auch mit einem KGV von ca. 5 bewertet. Im Unterschied zu D.R. Horton erwartet Toll Brothers aber keinen Gewinnrückgang. Gewinnwachstum wird für die nächsten zwei Jahre aber auch nicht angepeilt.

Hausbauaktien könnten durchaus das “Tal der Tränen” bereits durchlaufen haben. Die Kurse werden nicht in den Himmel wachsen. Aber es muss auch nicht immer gleich ein Wolkenkratzer sein. Manchmal hebt auch der Blick aus dem Küchenfenster im 2. Stock die Stimmung an.

Hinweis:
Gemäß §34 WpHG weise ich darauf hin, dass die Kolumne “Marktradar” ausschließlich Informationszwecken dient und in keinem Fall Empfehlungen zum Kauf von Aktien oder anderen Wertpapieren darstellen. Ich gebe hier ausschließlich meine eigene Meinung wieder und berate niemanden. Die hier vorgetragenen Ideen können vom Autor aktiv in seinen privaten Depots (inklusive wikifolios) umgesetzt werden oder auch nicht. Interessenkonflikte können in jedem Fall und jederzeit bestehen. Auch wenn ich die Kolumne nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, können jederzeit Fehler auftauchen. Die Haftung für Vermögensschäden, die aus der Nutzung der von mir veröffentlichten Ausführungen für eine Anlageentscheidung resultieren können, ist kategorisch ausgeschlossen. Ich lehne jegliche Haftung für allfällige Verluste oder Schäden irgendwelcher Art ab, die direkt oder indirekt durch die Benutzung des Inhalts entstehen.