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Marktradar vom 23. November 2022

Marktradar vom Mittwoch , 23. November 2022 von Stefan Pröhl

Bremsen vier Störfeuer den SPY heute aus oder nicht?

Der SPY ist gestern in sein wohl maximal machbares Tagesziel hinein gelaufen: 400 Punkte. Kurz vor Handelsschluss wurde diese Marke erreicht, aber dann mit der Schlussglocke doch noch knapp unterschritten: Der SPY schloss bei 399,90 Punkten.

Auch wenn der Mittwoch vor Thanksgiving laut Statistik meistens steigende Kurse im S&P 500 brachte, so sehen wir heute einige Warnsignale, die sich im Lauf des Handelstages als Störfeuer erweisen und damit ungebremste Euphorie nicht zulassen könnten:

Da ist erstens die Put Call Ratio von gestern zu nennen: So konnten wir an der Put Call Ratio, wie sie von der CBOE halbstündlich veröffentlicht wird, gestern ablesen, dass diese ab 18:30 Uhr deutscher Zeit sprunghaft anstieg. Der SPY begann in etwa gleichzeitig seinen Anstieg Richtung 400er Marke, der ohne Gegenwehr abgearbeitet werden konnte. Während dieser Zeit sicherten sich die Marktteilnehmer relativ aggressiv mit Long Puts auf den S&P 500 ab.

Stefan Pröhl

Technischer Analyst & Wikifolio Trader

Und da ist zweitens der VVIX: Die Volatilität der Volatilität (VVIX) bildete gestern eine Divergenz sowohl zum VIX als auch zum SPY aus. Der VIX fiel gestern fast 5 %, während der VVIX um fast 1 % anstieg. Das deutet zumindest kurzfristig Korrekturbedarf im S&P 500 an.

Und da ist drittens die Marktanalyse per Handelsvolumen: Am Dienstag sahen wir im S&P 500 bei steigenden Aktien ein niedrigeres Handelsvolumen als bei fallenden Aktien.

Und viertens gibt es noch die FED: Um 20 Uhr deutscher Zeit wird das FOMC Protokoll in den USA veröffentlicht. Neue Lesarten über die Geldpolitik der FED sind nicht zu erwarten. Alles andere als ein Null-Event für Börsianer wäre eine Überraschung. Falls die Erwartung eines Null-Events bestätigt wird, könnten die Marktteilnehmer nach 20 Uhr ihre zuvor aufgesetzten Put Absicherungen wieder auflösen.

Was sehen wir unter dem Radar der großen US-Aktienindizes:

4 Branchen gestern mit neuen Hochs

Nach den Basiskonsumgütern schafften es gestern vier weitere Branchen, die Bewegungshochs aus der 46. Kalenderwoche nach oben hin zu überschreiten: Versicherungen (KIE), Versorger (XLU), Healthcare (XLV) und zyklische Industrieaktien (XLI). Die drei erstgenannten Branchen zeigen historisch eine relative Stärke meist in Bärenmarktphasen an. Das passt also. Die Stärke von Aktien aus dem Industriesektor deutet an, dass eine Rezession in den USA womöglich umschifft werden kann.

Drei Auftragsfertiger unter der Lupe

Schauen wir uns die drei Auftragsfertiger etwas genauer an, die ich gestern als Vorboten dafür genannt hatte, dass eine Rezession womöglich umschifft werden kann.

Sanmina Corp. (SANM) ist ein global aufgestellter Auftragsfertiger, der elektronische Komponenten und Systeme an Erstausrüster vertreibt. Sanmina produziert u. a. Leiterplatten und Platinen und prüft und wartet für seine Kunden Elektronik und Präzisionssysteme. Durch ein Joint Venture mit Reliance Industries soll das Wachstum in Indien beschleunigt werden. Das KUV liegt bei 0,5 und das erwartete KGV für 2022 bei 14. Bis 2024 soll das KGV auf 11 sinken. Das erscheint günstig, zumal die Finanzlage des Unternehmens sehr gesund aussieht. Die am 7. November veröffentlichten Quartalszahlen lagen ziemlich deutlich über den Schätzungen. Laut dem CEO Jure Sola sollen sich die Auftragsbücher schneller füllen als neue Waren verkauft werden können. Nach Veröffentlichung der Quartalszahlen ist die Aktie um 11 % angestiegen. Aktuell konsolidiert die Aktie im Chart über 65 $ und dürfte in Kürze die 70 $ als nächste Zielmarke anpeilen.

Fabrinet (FN) ist ebenfalls ein Auftragsfertiger von elektronischen Komponenten. Die Wachstumsraten sind höher als bei Sanmina. Das kann daran liegen, dass Fabrinet seinen Kunden zusätzlich eine maßgeschneiderte Softwareplattform zur Verfügung stellt, mit der alle Aspekte des Fertigungsprozesses in Echtzeit überwacht werden können. Aktuell wird Fabrinet deutlich höher als Sanmina bewertet: Für 2022 wird ein KGV von 24 erwartet. Dieses soll bis 2024 auf 16 singen. Das KUV liegt bei 2 und soll bis 2024 auf 16 sinken. Das Unternehmen hatte am gleichen Tag wie Sanmina starke Quartalszahlen gemeldet und die Aktie steigt seitdem stetig nach oben, bisher ohne nennenswerte Konsolidierungen.

Jabil (JBL) ist deutlich diversifizierter aufgestellt als seine Konkurrenten Sanmina und Fabrinet. Neben der Auftragsfertigung von elektronischen Komponenten produziert Jabil tragbare Geräte für bessere Kundenerlebnisse, die auf Kreuzfahrtschiffen eingesetzt werden und arbeitet an Wireless Lösungen, die Kunden bei der Implementierung von mit dem Internet verbundenen Geräten helfen sollen. Außerdem bietet Jabil Lösungen für die verbesserte Produktion von Kunststoffen an und nutzt für die Eigenproduktion 3-D Drucker und stellt für diese auch optimierte Lösungen her, mit denen eine schnellere Druckgeschwindigkeit ermöglicht werden soll. Jabil wird aktuell mit einem KGV von 10 bewertet, welches bis 2024 auf 8 sinken soll. Das KUV liegt nur bei etwa 0,3. Jabil scheint mir in diesem Trio das innovativste zu sein. Zugleich scheint es am günstigsten bewertet zu sein. Jabil ist seit 4 Tagen charttechnisch im Rallyemodus und wird in Kürze wohl das Allzeithoch vom 29. Dezember 2021 bei 71,73 $ attackieren (Schlusskurs gestern: 70,77 $).

Länder-Rotation in den Regionen ex-USA

Die Länder Indonesien und Brasilien galten vor wenigen Wochen neben Indien und Mexiko als die Länder aus den etwas höher entwickelten Emerging Markets, die bei Institutionellen hoch im Kurs standen. Nun sehen wir aber eine ziemlich deutlichen Abfluss des Geldes: raus aus Indonesien und raus aus Brasilien. Beide Länder erhalten vom Marktradar inzwischen den Tagesstempel “Abwarten oder auf Sell Off spekulieren”.

In welche Regionen ex-USA fließt aktuell das meiste Geld hin? Da ist wohl an allererster Stelle Europa zu nennen. Die relative Stärke der europäischen Indizes zu den amerikanischen ist nicht mehr zu übersehen.

Ebenfalls erstaunlich ist die Entwicklung im ETF für die Frontier Markets (FM), und zwar was das Handelsvolumen in diesem ETF betrifft. Frontier Markets (deutsch: Grenzmärkte) haben eine geringere Marktkapitalisierung und Liquidität als die stärker entwickelten „traditionellen“ Schwellenmärkte. Der Index-Anbieter MSCI bestimmt für seinen MSCI Frontier Index derzeit 29 Länder als Grenzmärkte. Darunter befinden sich Staaten wie Argentinien, Bangladesch, Kroatien, Elfenbeinküste, Kenia, Kuwait, Kasachstan, Senegal, Tunesien und Vietnam. Seit dem 14. November sehen wir im ETF für die Frontier Markets täglich ein Handelsvolumen, das um ein Vielfaches höher ist als vor dem 14. November. Was passierte denn am 14. November? An diesem Tag trafen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping auf dem G20 Gipfel in Bali zusammen. Joe Biden äußerte bei dem Treffen die Hoffnung, dass ein Konflikt zwischen den USA und China vermieden werden könne. Dem US-Präsidenten liegt viel daran, Differenzen in den Griff zu bekommen und zu verhindern, dass aus Wettbewerb ein Konflikt wird. Womöglich wird dieser G20 Gipfel in späteren Geschichtsbüchern als eine Zäsur wahrgenommen, die der Markt – wie so oft – am 14. November vorweggenommen hat: eine Renaissance globalisiert denkender Politiker, Ökonomen und damit auch Investoren. US-Börsianer scheinen spätestens ab dem 14. November begonnen zu haben, ihr Geld nun vermehrt auch in Regionen außerhalb der USA anzulegen.

Warren Buffett zum Beispiel kaufte sich vor kurzem bei Taiwan Semiconductor ein. Inzwischen hat er auch sein 2020 begonnenes Interesse an japanischen Aktien erhöht. Berkshire Hathaway hat seine Beteiligungen an den japanischen Aktien Itochu, Marubeni, Mitsui, Mitsubishi und Sumitomo nun auf 6,2 % bis 6,8 % pro Unternehmen aufgestockt, wie am Montag an der Börse von Tokio bekannt gegeben wurde.

Hinweis:
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